Totgesagt
auszuweichen, in die Augen.
»Wie lange dauert es, bis solche Ausweise fertig sind?«
»Kommt darauf an.«
»Worauf?«
»Worum es jeweils geht. Wenn’s ein Führerschein ist, bin ich in ein paar Stunden fertig. Bei einem Reisepass dauert es länger. Mann muss alle Kennzeichen richtig hinkriegen, alles an der richtigen Stelle.«
»Haben sie mal Pässe bestellt?«
»Nein.«
»Was haben Sie der Gruppe sonst noch besorgt?«
Er zuckte die Schultern.
»Was sonst noch?«
Er bedachte mich mit einem schnellen Blick. »Waffen.«
Ich hielt inne und versuchte, das Flattern in meinem Magen zu ignorieren.
»Schicken Sie ihnen schon mal etwas mit der Post, oder kommt immer jemand vorbei?«
»Ich kann Ihnen nicht sagen, wo ich die Sachen hinschicke – es ist jedes Mal eine andere Adresse.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
»Mir ist scheißegal, was Sie glauben .«
Ich trat einen Schritt vor und steckte das Geld in die Tasche. Er musterte mich wieder von oben bis unten, anscheinend eine Art Tick von ihm, dann hielt er beide Hände hoch. Mit dem Kopf deutete er auf die Tasche mit dem Geld.
»Schon gut, schon gut«, sagte er. »Dieser neue Typ wollte lieber einen Ort zum Deponieren. Ein Schließfach. Er sagte, er würde abends um sechs seine Wohnung verlassen, und bis dahin müssten die Papiere abgeliefert sein.«
»Wo ist dieses Schließfach?«
Er stand auf und trat ins Schlafzimmer. Als er hinter der Tür verschwunden war, griff ich nach hinten an meinen Hosenbund und rückte das Messer so zurecht, dass ich möglichst leicht drankam.
Ich wartete.
Er kam mit einem Stück Papier in der Hand zurück und streckte es mir entgegen. Ich nahm es, ohne ihn aus den Augen zu lassen, und steckte es in meine hintere Tasche.
»Du versuchst mich besser nicht zu verarschen, Gerald.«
»Es ist alles da.«
»Das kann ich dir nur raten. Wenn ich herausfinde, dass du mich auf den Arm nimmst, komme ich wieder.«
»Schon gut, Arnold Schwarzenegger. Gib mir das Geld.«
Ich hielt die Rolle hoch, sodass er sie sehen konnte, und warf sie ihm dann entgegen. Wir beide sahen zu, wie die Scheine zu Boden flatterten.
»Scheiße, was soll das?«
»Das ist dein Geld.«
»Das sind keine fünfhundert.«
»Du hast versprochen, mir zu helfen. Wenn deine Informationen mir etwas nützen, schicke ich den Rest. Wenn nicht, hast du gerade hundert für nichts verdient.«
»Du kleines Arschloch .«
Als er auf mich zukam, riss ich das Messer heraus und streckte ihm den Arm entgegen. Die Spitze der Klinge stoppte nur zwei Zentimeter vor einem seiner Augen. An der gezackten Klinge vorbei konnte ich einen Teil seines Gesichts erkennen, die aufgerissenen, hervorgetretenen,
überraschten Augen. Mein Herz raste und zappelte in meiner Brust, doch das Messer zitterte kaum. Ich war überrascht, wie ruhig ich es hielt.
»Du hast gerade hundert Mäuse verdient«, sagte ich.
Gerald hielt beide Hände hoch und wich ein Stück zurück. Es war sicher nicht das erste Mal gewesen, dass ihn jemand mit einem Messer bedroht hatte. Oder mit einer Pistole. So lief es in seiner Branche. Wahrscheinlich hielt er mich auch für einen Teil dieser Welt. Ich wandte mich nach links, Richtung Tür, und legte meine Hand fest um den Messergriff.
»Danke für deine Hilfe«, sagte ich und verschwand nach draußen.
Ich fuhr in nordöstlicher Richtung durch die Stadt, überquerte die Themse und parkte einen knappen Kilometer von der Kirche in Redbridge entfernt. Dann wartete ich. Gegen halb fünf begann sich der Abend über den Himmel zu legen. Er arbeitete sich vom Horizont heran und saugte das Licht auf, bis ich nur noch die Sterne sehen konnte. Ich schaltete die Heizung auf volle Kraft und spürte die warme Luft an meinem Körper. Seitdem ich den Mann mit der Maske in mein Zuhause hatte eindringen sehen, war mir nicht mehr richtig warm geworden. Ich konnte die Verunsicherung nicht abschütteln, die mich überfallen hatte, als ich in die Dunkelheit gestarrt hatte, ohne zu wissen, wer oder was von dort zurückstarrte.
Mir war klar, dass ich das Einzige tat, was mir in dieser Situation übrig blieb. Ich konnte nicht mehr zurück an die Orte, an denen ich mich einst sicher gefühlt hatte. Sie wussten, wo ich wohnte. Und inzwischen wussten sie sicher auch, wo ich arbeitete.
Sie wussten, wo sie mich finden konnten.
Sie wussten alles über mich.
Das hier war alles, was mir noch geblieben war.
24
Um halb elf trat ich aus dem Schatten heraus und machte mich in der Dunkelheit
Weitere Kostenlose Bücher