Totgesagt
anonymen Warnbrief, das könne alles Mögliche bedeuten. Seine Stiefschwester oder seine Mutter – vielleicht
die
Polizei?
Stopp sie, sonst mach ich’s?
Wer hätte so etwas über Madeline schreiben sollen? Sie war in Stillwater allseits beliebt, wenn man mal von Mike Metzger absah. Klar, sie glaubte, Mike habe ihren Vater auf dem Gewissen, und hatte ihm deswegen ein wenig die Daumenschrauben angelegt. Dabei wusste niemand besser als Clay, dass Mike es nicht war. “Was soll ich gewesen sein?”, fragte er zurück.
“Derjenige, der den Karton geklaut hat.”
“Ich verstehe nur Bahnhof.”
Die Tür hinter ihm schwang auf, und Allie trat aus dem Haus. Sofort bemerkte Clay das trotzige Funkeln in ihren Augen, das ihm verriet, dass sie die Stimmen doch gehört hatte und sich nicht einfach abwimmeln ließ. Sie blieb jedoch stumm, fasste ihren Mann bei der Hand und richtete ihr Augenmerk gespannt auf Pontiff.
“Bei Madeline wurde letzte Nacht eingebrochen”, berichtete der Chief.
“Davon habe ich schon gehört.” Allie verstärkte den Griff um Clays Hand. “Das hat aber mit meinem Mann nichts zu tun. Der ist genauso erschüttert wie jeder andere auch.”
Pontiff enthielt sich einer Antwort. Er funkelte Clay nur herausfordernd an, als sei dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Als hätte er Clay nun endgültig dort, wo er ihn lange schon hatte hinhaben wollen.
Dem allerdings machte Pontiff bei Weitem nicht so viel Angst wie dieser Solozano. Der hatte keineswegs seinen Rat befolgt, die Stadt zu verlassen. Im Gegenteil, er war postwendend in aller Herrgottsfrühe bei Irene aufgetaucht und hatte sie gefragt, ob Barker möglicherweise verantwortlich sei für Elizas Tod. Daran hatte Clay bisher eigentlich gar nicht gedacht – keiner hatte das! –, aber zuzutrauen war es dem Reverend allemal.
Irgendwie wusste der Schnüffler inzwischen schon mehr über diesen Bastard als sonst jemand in Stillwater. Und zur Krönung des Ganzen hatte Irene auch noch zugegeben, Madelines Vater wäre der mieseste Lump gewesen, der ihr je untergekommen sei. Dabei hatten sie sich alle hoch und heilig versprochen, solche Bemerkungen zu unterlassen.
“Das wird sich zeigen.” Pontiff bequemte sich nun doch zu einer Äußerung. “Wer sollte denn sonst ein Interesse an der Kiste haben?”
Es lag Schnee in der Luft. Clay bemerkte es ebenso wie den Druck von Allies schlanken Fingern. Allmählich stellte er sich die Frage, wie lange er wohl noch als freier Mann solch schlichte Freuden genießen durfte. “Ich habe keinen blassen Schimmer, von was für einer Kiste du da redest.”
“Die mit den Sachen vom Reverend. Einen der Kartons, die du selber gepackt hast, als du das Arbeitszimmer in deiner Scheune abgerissen hast.”
Clay schnaubte gereizt. “Toby, das ist doch Quatsch mit Soße. Wieso sollte ich in ein Haus einbrechen, zu dem ich ‘nen Schlüssel besitze? Und mir dann auch noch was klauen, was ich vorher freiwillig abgegeben habe?”
Ein erster Anflug von Zweifel zuckte über Pontiffs Gesicht, aber er warf sich breitbeinig in die Brust und stemmte die Fäuste in die Hüften, rechts in der Nähe seiner Dienstwaffe. “Zeig mir mal deine Hände. Und kremple die Ärmel hoch bis zum Ellenbogen!”
Um ein Haar hätte Clay sich geweigert. So ein Schwachsinn! Eher wäre er gestorben, als Madeline zu bedrohen oder gar zu verletzten. Dann aber drückte Allie ihm nochmals aufmunternd die Hand, als wolle sie ihn stumm anflehen, ausnahmsweise einmal gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
“Ich leg sogar noch einen drauf”, knurrte er und trat auf Pontiff zu. Der wich zurück, während Clay sein Oberhemd auszog und auch noch das Unterhemd über den Kopf streifte. “Und? Siehst du was Verdächtiges?”, grinste er verächtlich, wobei er sich umdrehte. “Noch ‘n paar Fotos gefällig? Allie, hol mal den Fotoapparat. Dann kann Chief Pontiff beruhigt abziehen. Mit ‘nem Haufen Digitalfotos für seine Akte, komplett mit Datumsstempel drauf.”
“Nein, lass mal …” Pontiff schüttelte den Kopf und schaute ziemlich belämmert aus der Wäsche. “Nicht nötig.”
Clay warf sein Hemd auf den Schaukelstuhl. Hier draußen herrschten zwar nur frostige vier Grad, doch das war ihm egal. Wenn schon, dann sollte Pontiff auch alles sehen, was es zu sehen gab. “Was hast du denn hier zu finden gehofft, Toby?”
“Der … der Einbrecher hat sich ‘ne böse Schnittwunde zugezogen. Die ganze Bude ist voller Blut. Zog sich
Weitere Kostenlose Bücher