Totgesagt
Undankbarkeit mit dieser Plage bestraft würden.
Eliza kam einem nicht wie eine sonderlich starke Persönlichkeit vor. Dennoch war es ihr stets gelungen, sich um ihre Tochter zu kümmern – alles andere als selbstverständlich für jemanden, der innerlich so von Verzweiflung verzehrt wurde. Das musste man ihr hoch anrechnen. Außerdem war sie wild entschlossen, Madeline zu beschützen. Wovor, das konnte Hunter sich mittlerweile denken. Um überzeugend zu sein, benötigte er allerdings mehr als nur seine Mutmaßungen.
“Gehasst? Das ist starker Tobak”, bemerkte er.
“Anders kann man es aber nicht beschreiben”, gab sie zurück. “Er meinte, sie hätte ihn aufs Allerschlimmste enttäuscht. Sie wäre dumm und schwach gewesen. Ich habe ihn nur ein einziges Mal fluchen hören, und das war, als ich ihn aufforderte, doch auch mal eine gute Eigenschaft an Eliza zu benennen. Er wusste keine. Stattdessen bezeichnete er sie als …” Sie hob die Hand, an der etliche protzige Ringe funkelten, vermutlich genauso unechte wie die Goldrahmen um ihre Spiegel. “Na, können Sie sich sicher denken.”
“Miststück?”, vermutete er auf gut Glück.
“Schlimmer. Viel schlimmer.”
“Können Sie mir nicht ‘nen Wink geben?”
Sie schauderte, als sei ihr der bloße Gedanke schon zuwider. “Ach, egal. Sie wissen schon.”
Irene mochte das Wort nicht einmal in den Mund nehmen – und dennoch hatte ihr frommer Gatte einen solchen Begriff benutzt, um seine erste Frau zu charakterisieren. Die Mutter seines Kindes.
Wenn es um Menschen ging, war Hunter pragmatisch. Er hob niemanden in den Himmel. Für ihn stand fest, dass Geistliche dieselben Gelüste, Sehnsüchte und Schwächen hatten wie jeder andere auch. Doch seit er Barkers flammende Predigten gelesen hatte und wusste, welche Hölle er darin beschrieb, konnte Hunter sich kaum vorstellen, wie Madelines Vater einen noch vulgäreren Ausdruck als “Miststück” benutzen sollte. Falls er aber in dieser Hinsicht ein solcher Pharisäer war, erschien es nur logisch, dass es auch andere Widersprüchlichkeiten geben musste.
“Hatte er denn keine Angst, dass Sie weitererzählen könnten, was er da gesagt hatte?”
“Wer hätte mir schon geglaubt?”, fragte sie lachend.
“Wie kamen Sie und er denn überhaupt auf seine Exfrau zu sprechen?”, erkundigte Hunter sich.
Irene befingerte ihre Halskette. “Ich habe es natürlich für Madeline getan. Ich wollte ihr etwas Positives vermitteln, mit dem sie sich identifizieren konnte. Das arme Ding konnte ja kaum auseinanderhalten, ob seine Mutter die liebevolle Person aus ihren Erinnerungen war oder dieses Schreckgespenst, als das Barker sie dauernd hinstellte.”
“Ja, sah er denn nicht, dass er Maddys Lage damit nur noch schlimmer machte?”
“Das störte ihn nicht. Je weniger sie ihre Mutter mochte, desto vollständiger konnte er an Elizas Stelle treten und sich die Zuneigung seines kleinen Mädchens sichern.”
Genau wie Antoinette! “Egoismus pur”, brummte er.
“Ich will gar nicht verhehlen, dass Eliza Barker Probleme hatte”, fuhr Irene fort. “Um das zu erkennen, braucht man bloß ihre Gedichte zu lesen. Aber kein Mensch ist nur gut oder nur schlecht. Es gab jede Menge Leute in der Stadt, die hielten große Stücke auf sie. Bestimmt nicht ohne Grund.” Ihre Stimme nahm einen sarkastischen Unterton an. “Ist weiß Gott nicht einfach, bei den Einheimischen hier anzukommen.”
Hunter spürte die tiefe Einsamkeit, die in der Bemerkung lag. “Sie können ein Lied davon singen, hmm?”
“Allerdings”, bestätigte sie traurig.
“Warum war er denn Ihrer Meinung nach so unnachgiebig bezüglich Eliza?”, fragte er. “Aus Kummer über ihren Selbstmord?”
“Kummer?”, spottete sie. “Kummer kannte er nicht. Eher im Gegenteil! Er war heilfroh, dass er sie los war.”
Die Heftigkeit der Antwort versetzte Hunter in Erstaunen. Irene selber wohl auch, gemessen an dem erschrockenen Ausdruck, der sich auf einmal auf ihre hübschen Züge legte. “Aber ihretwegen gestritten haben wir uns nie”, beteuerte sie. “Wir hatten sowieso keine gravierenden Probleme.”
Man hatte sie wegen ihrer vermuteten Mittäterschaft an Barkers mutmaßlichem Tod wohl schon so oft in die Mangel genommen, dass sie negative Bemerkungen bewusst vermied, ganz besonders so drastische wie die soeben gemachten. “Verständlich”, sagte er.
Angesichts dieser Antwort schien sie sich etwas zu beruhigen, sodass er sich noch eine Frage
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