Totgesagt
gestattete. “Hat er Fotos von ihr aufbewahrt?”
“Nein. Was er an Fotos fand, hat er vernichtet. Ein paar konnte ich retten und Madeline geben, die sie unter der Matratze versteckte. Sie tat zwar immer so, als sei es ihr egal, ob sie welche hätte oder nicht, aber ich weiß, dass das nicht stimmte. Sie war halt noch zornig und durcheinander, deshalb.”
“Immerhin hatte sie noch ihren Vater”, sagte er, gespannt, wie Irene darauf reagieren würde.
Abermals blickte sie hinüber zum Fenster. “Sie gehen jetzt besser.”
“Ein paar Fragen hätte ich noch …”
“Ich muss punkt Mittag bei meiner Arbeit sein. Außerdem ist das alles lange her. Manchmal lässt man die Vergangenheit besser ruhen.”
“Auch auf die Gefahr hin, dass Barker seine erste Frau umgebracht hat?”
Sie taumelte, als habe die Frage sie mit der Wucht eines Hiebes getroffen. “I…Ich … was?”, stammelte sie.
“Sie haben richtig gehört.”
“Es war doch Selbstmord!”
“Es sah wie einer aus”, korrigierte er. “Ich hingegen glaube nicht, dass Eliza ihre kleine Tochter alleingelassen hätte. Dazu war sie viel zu sehr auf Madelines Schutz bedacht.”
“Sie war depressiv.”
“Sie liebte ihre Tochter über alles und ging in ihrer Erziehung regelrecht auf. Wieso sollte sie die Kleine da plötzlich verlassen?”
Irene fiel offenbar das Schlucken schwer, so krampfhaft zuckte ihr Kehlkopf auf und ab. “Das kann nicht sein! Es … es wurde doch ein Abschiedsbrief gefunden! In ihrer Handschrift, soviel ich weiß.”
Hunter begriff, dass er möglicherweise mit seinen Andeutungen zu weit gegangen war. Jetzt, da es heraus war, würde es bald die Runde machen, und er wollte tunlichst vermeiden, dass irgendwann auch Madeline damit konfrontiert wurde. Andererseits musste er seinen Instinkten folgen, sonst käme er nie über seinen augenblicklichen Kenntnisstand hinaus. Mit seiner Schockbehauptung war er bei Irene ganz zweifellos auf eine Schwachstelle gestoßen.
“War das ein richtiger Brief?”, fragte er. “Oder bloß ein Eintrag in ihrem Tagebuch?”
“Großer Gott!” Die Augen fest zugepresst, fuhr sie sich mit der zitternden Hand zum Mund.
“Irene?” Er fasste sie sanft am Arm.
Mit einem gequälten Blick schaute sie zu ihm auf.
“Trauen Sie ihm einen Mord zu? Hatten Sie Angst vor ihm?”
Sie schüttelte den Kopf, aber er verstärkte seinen Griff. “Sagen Sie mir die Wahrheit!”
“Die Wahrheit?”, wiederholte sie verbittert. “Ich glaube, ich weiß gar nicht mehr, was das ist.”
“Hatten Sie Angst vor ihm?”
Sie starrte ins Leere.
“Hatten Sie Angst vor ihm?”, wiederholte er, lauter und nachdrücklicher.
Diesmal antwortete sie. “Ja. Er war einer der niederträchtigsten Menschen, die mir je begegnet sind.”
Hunter merkte, wie sein Herz bei diesem Geständnis einen Schlag aussetzte. “War er pädophil?”, stieß er nach. “Hat er sich an Grace herangemacht?”
Ehe sie reagieren konnte, wurden sie von Motorengeräusch unterbrochen. Beide wandten sich zum Fenster. Draußen fuhr gerade ein großer, schwarzer Pick-up in die Einfahrt.
Es war Clay. Irene musste ihn gleich angerufen haben, als Hunter schellte. Und er sah nicht besonders fröhlich aus.
“Raus!”, donnerte er, kaum in der Tür angelangt. “Und lassen Sie sich nie wieder blicken! Es sei denn mit der Polizei und einer richterlichen Vorladung!”
Hunter verzichtete darauf, sich mit ihm anzulegen. Clays Verhalten war völlig legitim. Als er dann aber in Madelines Toyota stieg, stand eines für ihn fest. Die Tränen, die lautlos über Irenes Wangen rannen, während sie zitternd neben Clay stand, die würde er nie vergessen.
Als Clay die Haustür aufmachte, stand Pontiff auf seiner Veranda. “Was ist passiert?”, fragte er, schlagartig besorgt. Der Chief strahlte etwas Entschlossenes, Resolutes aus, das bei Clay gleich sämtliche Alarmglocken schrillen ließ.
Pontiff wippte auf den Fußballen, als wären ihm seine ein Meter achtzig Körpergröße peinlich. “Warst du es?”
Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, trat Clay auf die Veranda hinaus, sodass seine Frau das Gespräch nicht mithören konnte. Whitney war zum Glück oben und spielte mit ihren Puppen; um sie brauchte er sich also keine Sorgen zu machen. Von seiner Mutter hatte er erfahren, dass jemand bei Madeline eingebrochen hatte. Bislang hatte er eher dazu geneigt, das Ganze als einen Jux abzutun, ebenso wie er sich bisher eingeredet hatte, das “
sie
” in dem
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