Totgesagt
Bei deinen ganzen Lügengeschichten?”
Madeline legte auf. Sie hielt es nicht mehr am Hörer aus, konnte die Panik in Irenes Stimme nicht mehr ertragen. Sie musste raus aus dem Haus, bevor ihre Stiefmutter eintraf, bevor Clay und Grace auch noch auftauchten. Die wollten doch nur das eine: ihr einreden, dass das alles nicht stimmte …
Hastig zog sie sich etwas über, rannte ohne Rücksicht auf ihre wirre Frisur die Treppe hinab und schnappte sich die Schlüssel zu Clays altem Pick-up. Dann griff sie schnell ihre Handtasche, übersah bewusst die verdutzt von ihrem Fressnapf aufblickende Katze und verließ das Haus. Die Montgomerys konnten ihr jetzt gestohlen bleiben; sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Nur hörte ihr Handy nicht auf zu klingeln.
“Lasst mich doch alle in Ruhe!”, schrie sie, ließ den Motor an und fuhr los. Als sie mit Schwung aus ihrer Zufahrt auf die Landstraße bog, wäre sie um ein Haar mit Ray Harpers Dodge zusammengestoßen, der aus der Gegenrichtung kam.
Hunter hätte gern gewusst, wie man das schaftte: Einem Mann die in seinem Besitz befindlichen Fotos zu zeigen und zu fragen:
Ist das Ihre Tochter?
Er wollte sich lieber nicht vorstellen, wie er selbst reagieren würde, hielte ihm einer ein solches Bild mit seinem eigenen Kind unter die Nase. Andererseits konnte er es sich ganz gut ausmalen. Genau deswegen traute er sich ja nicht recht an die Tür.
Doch das Gespräch mit Harper war nicht zu umgehen, oder? Nur so ließ sich enträtseln, welche Rolle die Mädchen in den damaligen Vorgängen gespielt hatten.
Möglicherweise wusste Harper, was Barker seiner Tochter angetan hatte. Nicht ausgeschlossen, dass Rose sich in ihrer Not an ihren Vater gewandt hatte. Vielleicht war das ja die Ursache für das Zerwürfnis zwischen Harper und dem Reverend. Ja, es war sogar durchaus denkbar, dass Harper und nicht Irene den Prediger ins Jenseits befördert hatte.
Um Madelines willen konnte man nur hoffen, dass es so war, dass er sich bezüglich der Montgomerys irrte. Dass die gesamte Stadt einem Trugschluss aufgesessen war.
Er zog den Reißverschluss seines Parkas auf, holte tief Luft und stieg schließlich die wackeligen Stufen hinauf zu Ray Harpers Tür, um dann laut anzuklopfen.
Keine Antwort.
Nochmals pochte er gegen die billige Metallverkleidung.
In einem engen Carport direkt neben dem transportablen Haus stand ein alter Buick. Der hatte ihm vorher signalisiert, Harper müsse doch eigentlich zu Hause sein. Als er nun aber das Klopfen einstellte und sich den Wagen etwas näher ansah, stellte er fest, dass er vorn links aufgebockt war.
Gerade schickte Hunter sich an, wieder in Madelines Auto zu steigen und Harper anderswo zu suchen, da öffnete sich die Tür des benachbarten Wohnmobils. Die Nachbarin, eine Bohnenstange in Bademantel und Pantoffeln und mit einer Zigarettenkippe zwischen den Lippen, stellte ihre Mülltüte nach draußen.
“Hallo”, rief er hinüber. “Sie haben heute Morgen nicht zufällig Ray Harper gesehen?”
“Nein.” Sie nahm die Zigarette aus dem Mund. “Normalerweise schläft der lange.”
Nach dem zerzausten Wuschelkopf zu urteilen, war die Frau wohl selber gerade erst aus den Federn gekrochen. “Was fährt der denn für ‘n Auto?”
Sie zögerte und musterte ihn scharf. “Sie sind der Schnüffler, stimmt’s?”
“Richtig geraten.”
Ihr Gesicht leuchtete neugierig auf. “Und? Schon was rausgekriegt?”
“Heute Morgen ja nicht, wie man sieht. Können Sie mir sagen, was für ein Fahrzeug Harper fährt?”
Sie schien zwar etwas pikiert, dass er sich nichts entlocken ließ, antwortete aber trotzdem. “Einen Dodge-Kleinlaster. Wenn der nicht unter Bubbas Carport steht, ist Ray wahrscheinlich zur Kirche.”
“Bubbas Carport?”
“Na, der von Bubba Turk!” Die Zigarette zwischen die Finger geklemmt, wies sie in die Richtung. “Wohnt da drüben. Wohnte, besser gesagt. Ist dieses Wochenende an ‘nem Herzanfall gestorben, der arme Kerl.”
Madeline hatte den Todesfall erwähnt. Sie war ziemlich betroffen gewesen. “Wieso sollte Harper denn Bubbas Einstellplatz benutzen?”, fragte er.
Sie ruckte mit dem Kinn in Richtung auf den Buick. “Solange die Schrottkiste da rumsteht, hat er ja keinen anderen Platz für seine Karre. Die Wege hier auf dem Platz, die sind schon dermaßen zugestellt, dass er schließlich bei Bubba geparkt hat. Damit ich endlich aufhöre zu meckern. Trotzdem”, ergänzte sie angewidert, “die Hälfte der Zeit fährt er seinen
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