Totgesagt
die Sprache wieder. “Warte!”, rief sie über das laute Klopfen ihres wie rasend schlagenden Herzens hinweg. “Augenblick, Daddy! Ich bin noch nicht angezogen!”
Eigentlich war das als Ausflucht gedacht, doch mit einem Mal stellte sie fest: es stimmte! Sie war wirklich nackt! Sie sah ihre bloße Haut, ihre nackten Brüste. Das jedoch störte ihren Vater nicht. Er trat ein, schloss die Türe hinter sich und zog dann langsam und mit lüsternem Blick etwas unter dem Mantel hervor. Etwas Fleischfarbenes.
Der Dildo!
Kreischend fuhr Madeline hoch. Weg, nur weg, schnell fort von dem entsetzlichen Anblick! Erst mit Verspätung dämmerte ihr, dass sie zwar aus dem Bett gekrabbelt war, doch nicht unten in der Diele stand. Nein, sie fand sich in ihrem Schlafzimmer wieder. Zwar splitternackt, aber allein.
Schwer atmend und völlig verwirrt schaute sie sich um. Ein Hauch von Aftershave lag noch in der Luft, doch Hunter war nicht da.
Beruhige dich! Es war bloß wieder ein Albtraum!
Nur diesmal schlimmer, viel schlimmer. Und dann merkte sie allmählich, dass das Telefon klingelte. Vermutlich war sie davon aus diesem entsetzlichen Traum gerissen worden.
Heilfroh, eine menschliche Stimme hören zu können, griff sie nach dem schnurlosen Gerät. “Hallo?”, rief sie aufgeregt, bemüht, den Puls zu normalisieren und sich einigermaßen zu fassen. Erst als sie die Stimme ihrer Stiefmutter vernahm, fiel ihr auf, dass sie besser vorher auf das Display geschaut hätte. Eine menschliche Stimme war gut und schön, doch diese musste es nicht unbedingt sein.
“Da bist du ja endlich! Mensch, Madeline, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Alles in Ordnung mit dir?”
Von wegen in Ordnung! Ihr Leben – und die Albträume obendrein – beides wurde immer schlimmer. Das durfte sie allerdings nicht zugeben. Irene war von Anfang an dagegen gewesen, dass sie Hunter kommen ließ. Im Grunde genommen hatte sie sich dies alles selber zuzuschreiben, oder? Sie war es ja, die die jahrzehntealte Narbe, die ihr Vater mit seinem Verschwinden hinterlassen hatte, wieder aufriss, sodass sie nun erneut zu bluten begann.
“A…Alles bestens”, würgte sie mühsam hervor.
Es folgte eine kurze Pause. “Wieso gehst du nicht ran, wenn ich anrufe?”
Irenes Ton war dermaßen vorwurfsvoll und gekränkt, dass Madeline ganz blass wurde. “Ich … äh … hatte zu tun”, stammelte sie. “Ehrlich.” Das klang haargenau so lahm, wie es auch war. Was sollte sie auch schon groß sagen? Dass sie allmählich den Verdacht hegte, Irene habe Barker umgebracht? Dass es ihr grauste vor der Erkenntnis, dass ihr Vater den Tod womöglich verdient hatte?
“Dein Privatdetektiv war da”, erzählte Irene. “Der … der hat vielleicht merkwürdige Ideen! Ich hoffe, du fällst nicht auf den rein, Maddy. Du weißt ja, dass …”
“Dass was?” Offenbar ließ sich die Sache nun nicht mehr umgehen.
Madelines heftige Reaktion traf Irene anscheinend auf dem falschen Fuß. “Na, dass … dass er sich irrt, natürlich!”
“Tut er das, Mom?”
Irene druckste herum. “Na ja, kommt natürlich drauf an, was er sagt, aber …”
Normalerweise hätte Madeline sie einfach weiterreden lassen und zu allem Ja und Amen gesagt. Eine andere Wahrheit als jene, die sie selber wünschte und herbeisehnte, wäre sowieso unerträglich gewesen. Das galt allerdings auch für die Fragen, die sie sich seit Neuestem insgeheim stellte. “Er sagt, Dad hat sich an Grace vergangen”, brach es aus ihr heraus. “Er behauptet, du hättest ihn deswegen umgebracht! Und Clay hätte deinetwegen alles vertuscht! Schon jahrelang!”
Bestürztes Schweigen.
“Stimmt das?”, rief Madeline in den Hörer.
“Nein! Madeline, hör mal, dein Vater war … war schließlich Geistlicher! An dem fraglichen Abend, da kam er nicht nach Hause, und … und … dann gab’s ‘nen Stromausfall … und …”
Sie stammelte und schluchzte gleichzeitig … und sie log! Nie war es Madeline so klar gewesen wie in diesem Moment.
Langsam hockte sie sich auf den Boden und ließ nun auch ihren Tränen freien Lauf, den Kopf auf die angewinkelten Knie gestützt. “Woher willst du denn wissen, dass er sich an Grace vergriffen hat? Vielleicht war’s ja jemand anderes! Jemand, dem er Beistand gab! Vielleicht hast du ihn völlig grundlos umgebracht!”
“Maddy, bleib da! Ich … ich komme zu dir rüber. Clay auch, okay? Hörst du? Ich rufe ihn gleich an …”
“Damit er dir weiter die Stange hält, Mom?
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