Totgesagt
unbesetzten Schreibtische und schnappte sich kurzerhand das Telefon.
Zuerst wollte Madeline sie vom Telefonieren abhalten. Aber eigentlich war sie insgeheim froh darüber, dass ihr Stiefbruder nun vermutlich zu ihnen stoßen würde. Zumindest konnte er sich um Irene kümmern, bis Madeline die Sache hier einigermaßen im Griff hatte.
In dem Moment öffnete sich die Tür und Grace und ihr Ehemann Kennedy Archer traten in das Büro, beide Hand in Hand. Kennedy trug, ganz geschäftsmäßig, einen seiner maßgeschneiderten Anzüge; Grace hingegen legere Freizeitkleidung, bestehend aus Jeans, australischen Wildlederstiefeln und einem schicken Pullover. Trotz der Jahreszeit und des unfreundlichen Wetters verbarg sie ihre Augen hinter einer Sonnenbrille.
Sie igelt sich ein. Sie ahnt, dass etwas im Busch ist!
Auf einmal war Madeline wenig begeistert mitzuerleben, was nun kommen musste.
Kennedy grüßte alle mit einem knappen Hallo. Sein vorsichtiger Umgang Grace gegenüber ließ allerdings vermuten, dass er besorgt war. Seine Frau nickte den Anwesenden nur wortlos zu.
“Grace, Kennedy, vielen Dank, dass ihr euch herbemüht habt.” Chief Pontiff war, kaum dass er sie erblickt hatte, aufgestanden und begrüßte Kennedy mit Handschlag. Er bot auch Grace die Hand, doch sie reagierte nicht. Ihr Blick verharrte auf den Gegenständen, die auf dem papierbezogenen Tisch lagen.
“Wo liegt das Problem?”, fragte Kennedy mit leiser, vorsichtig klingender Stimme.
Pontiff winkte die beiden näher heran und erklärte ihnen, dass die Beweisstücke vor ihnen in dem geborgenen Cadillac gefunden wurden. Grace ließ sich von ihrem Mann zu dem Tisch führen. Über ihren feinen Wangenknochen spannte sich die Haut. Kurz darauf schwankte sie, so als habe sie einen Schwächanfall. Madeline trat hinzu und griff sie bei der Hand, während Irene weiterhin an der Tür verharrte und Clays Namen vor sich hin murmelte.
“Erkennst du irgendeinen von diesen Gegenständen?”, fragte der Chief.
Kennedy erstarrte. “Grace …”, sagte er kaum hörbar. Die Art, wie er den Namen aussprach, zeugte von einer unendlich innigen Zuneigung.
Als Pontiff auf den Koffer wies, schüttelte Grace verneinend den Kopf, ebenso bei dem Dildo, dem Seil und den Slips. Erst als er auf den Bikini mit dem Äffchen zeigte, brach sie ihr Schweigen. “Der da gehörte mir.”
Von Panik ergriffen, rang Grace nach Luft. Dass diese Identifizierung auf eine Tortur hinauslief, das hatte sie erwartet. Sie hatte sich aber nicht vorstellen können, um wie viel schlimmer es dadurch wurde, dass Madeline dabei anwesend war. Chief Pontiff ließ sie ebenfalls nicht aus den Augen, wenn auch mit ausdrucksloser Miene. Selbst Officer Radcliffe, der seitlich vor einem Aktenschrank stand und so tat, als ordne er Schnellhefter ein, beobachtete die Szene aus den Augenwinkeln.
Ihrer aller Zukunft hing von den folgenden Minuten ab – und von Graces Überzeugungskraft. Und das, obwohl ihr war, als ertrinke sie in einem Meer schmerzvoller Erinnerungen.
“Hast du eine Erklärung dafür, wie dein Bikini in den Kofferraum von dem Cadillac gelangt ist?”, wollte Pontiff wissen.
“Nein.” Sie wünschte, sie hätte die Kraft aufgebracht, die Sonnenbrille abzusetzen und Pontiff direkt in die Augen zu schauen. Sie hatte selbst genügend Zeugen beraten, um genau zu wissen, wie man die eigene Glaubwürdigkeit steigerte. Doch sie brachte es nicht über sich. Aber dass Kennedy ihr die ganze Zeit fest die Hand hielt, war ein mahnender Hinweis darauf, dass die Dinge auf dem Tisch zu einem früheren Leben gehörten. Ihr jetziges hingegen drehte sich um ihren Mann und die Kinder. Dieser Gedanke allein bewahrte sie vor dem totalen Zusammenbruch. Und Kennedy war fest entschlossen, sie heil durch diese Sache zu bringen. Sie spürte regelrecht, wie er sie ohne Worte dazu aufforderte durchzuhalten – und am Ende zu triumphieren. Zum Besten aller Beteiligten.
Lass nicht zu, dass dein Stiefvater gewinnt! Er darf nicht als Sieger hervorgehen!
Das sagte er jedes Mal, wenn die Schatten der Vergangenheit ihr Lebensglück bedrohten. Bis heute hatte sie seinen Ratschlag stets befolgt.
Stumm gelobte sie sich, ihren Mann nicht zu enttäuschen, ungeachtet jenes furchtbaren, stechenden Gefühls, das ihr so deutlich im Gedächtnis haften geblieben war. Mochte sie sich auch noch so sehr vor allem verschließen – vor dem stinkenden Atem ihres Stiefvaters, dem lüsternen Stöhnen und Grunzen, dem grellen Blitz der
Weitere Kostenlose Bücher