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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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Sie schob die Katze sanft beiseite und wühlte so lange zwischen den Alben herum, bis sie auf den entsprechenden Ordner stieß.
    Hunter nahm ihn zwar entgegen, war aber offensichtlich mehr an etwas interessiert, das er in einer anderen Kiste entdeckt hatte. Als er es herauszog, stellte Madeline fest, dass es sich um eines der Tagebücher ihrer Mutter handelte. Und es enthielt sogar noch gut die Hälfte ihrer Eintragungen.
    “Gehörte das Ihrer Mutter?”
    Sie nickte. Sie besaß selber ein paar von Elizas Aufzeichnungen, vornehmlich die aus den frühen Jahren. Als Madeline älter und die Depression ihrer Mutter schlimmer wurde, ging diese mehr und mehr dazu über, ihre Notizen zu vernichten. Gegen Ende umfassten die Notizbücher noch ganze zwanzig Seiten, die meisten davon Anekdoten über Klein-Maddy sowie Gedichte zunehmend verzweifelten und kryptischen Inhalts.
    Langsam blätterte Hunter die Seiten durch und überflog das Geschriebene. Madeline hatte dieses Tagebuch erst wenige Monate zuvor aussortiert, weil sie sich vorgenommen hatte, es zu lesen. Sie hoffte damals, es könne ihr etwas Frieden bringen, die Welt aus Elizas Perspektive zu betrachten. Dennoch war es ihr nie gelungen, ihren Groll darüber, dass ihre Mutter Selbstmord begangen hatte, zu überwinden. Auch nicht jene irrationale Angst, sie könne sich mit dieser Schwermut womöglich bei ihr “angesteckt” haben.
    Es fiel ihr nicht leicht, Hunter dabei zuzusehen, wie er die Seiten des Ordners durchforstete. Während er las, knabberte sie an den Fingernägeln und benahm sich zappelig, bis er schließlich aufblickte. “Ist nicht so schlimm”, versicherte er ihr.
    “Was steht denn drin?”, wollte sie wissen.
    “Gedichte. Ziemlich düstere.”
    “Sie war eben depressiv.”
    Er spitzte die Lippen, sparte sich aber einen Kommentar. “Darf ich ein paar von den Tagebüchern mit zu mir rübernehmen? Und die Predigten auch? Ich möchte sie gern in aller Ruhe studieren.”
    “Wozu?”, fragte sie gereizt. “Meine Mutter hatte mit dem Verschwinden meines Vaters nichts zu tun! Da war sie bereits sechs Jahre tot!”
    “Menschen sind komplizierte Gebilde”, gab er zu bedenken. “Zuweilen reichen die Wurzeln eines Vorfalls sehr tief.”
    “So tief hat bisher niemand nachgeguckt.”
    “Vielleicht ist genau das der Witz.” Mit einem fragenden Gesichtsausdruck hielt er das Notizbuch hoch.
    “Na schön, von mir aus nehmen Sie’s mit.”
    “Wo sind die anderen?”
    Sie durchwühlte den Rest und kramte noch einige hervor, derweil Hunter in seinem eigenen Karton nachsah. “Sagen Sie bloß, das hier gehörte ihr auch”, bemerkte er, wobei er eine kunststoffgebundene Kladde mit Walt Disneys
Cinderella
auf dem Cover hochhielt.
    “Ach!” Automatisch zuckte ihr die Hand zum Mund.
    “Was haben Sie?”
    Stockend holte sie Luft. “Das ist
mein
Tagebuch. Meine Mutter hat es mir gekauft. Damit ich gleichzeitig mit ihr schreiben konnte.”
    “Darf ich’s lesen?”, fragte er behutsam.
    “Wie soll Ihnen etwas weiterhelfen, das ich als zehnjähriges Mädchen geschrieben habe?”
    “Vermutlich gar nicht”, räumte er ein. “Trotzdem – eine winzige Chance bleibt immer. Könnte ja sein, dass Sie nichts ahnend was Entscheidendes notiert haben.”
    Madeline konnte sich nicht vorstellen, dass sie in dem zarten Alter schon großartig persönliche Dinge aufgezeichnet haben sollte. Mit Jungen spielte sich noch nichts ab; mädchenhafte Schwärmereien schieden folglich aus. Sie wusste ja nicht einmal mehr, was ihr damals überhaupt einen Eintrag wert gewesen war. Gedanken über die Eltern? Die Schule? Die Freundinnen? Die Tiere auf der Farm? Über den Hof an sich?
    “Möglich wäre es”, gab sie zu. “Allerdings fürchte ich, dass es nicht sonderlich spannend ist.”
    “Sagen Sie das nicht. Sie als kleines Mädchen kennenzulernen, das könnte interessanter werden, als Sie denken.” Er wollte das Tagebuch aufschlagen, doch es war abgeschlossen. “Haben Sie den Schlüssel dafür?”
    “Nein. Ich fasse es ja kaum, dass ich das Buch überhaupt noch habe. Habe es schon jahrelang nicht mehr gesehen.” Ihre Sammelwut hatte sich erst nach dem Verschwinden des Vaters herausgebildet. “Nur zu, brechen Sie’s ruhig auf.”
    “Nichts dagegen?”
    Sie schüttelte den Kopf – und bereute es, kaum dass er das Tagebuch aufklappte.
    Ray saß allein in seinem Wohnwagen. Vor ihm flimmerte der Fernsehapparat, aber Ray schaute gar nicht recht hin. Zu viel ging ihm im Kopf

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