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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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betrachtete Seite um Seite, wobei er hin und wieder innehielt, um genauer hinzusehen. “Wie hat sich ihre Depression denn bemerkbar gemacht? Hat sie viel geweint? Oder ständig nur geschlafen?”
    “Sie hatte schnell Tränen in den Augen, versuchte es aber zu verbergen. Meistens war sie still und wirkte bedrückt. Und sie führte Tagebuch, ganze Spiralhefte voll. Und dann wieder riss sie die meisten Seiten einfach raus und verbrannte sie. Ich weiß noch, wie ich dabei zuguckte, wie das Papier schwarz wurde und sich aufrollte.”
    “Wusste Ihr Vater, dass sie ihre Aufzeichnungen verbrannte?”
    “Möglicherweise. Sie machte es allerdings immer nur dann, wenn er nicht da war. Sie wusste, dass er sonst böse geworden wäre.”
    “Wieso? Es konnte ihm doch egal sein!”
    “Er nahm ihr übel, dass sie mit ihrem Leben nicht zufrieden war.”
    “Meinte er, sie hätte es sein müssen?”
    “Er gab sich alle Mühe, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.”
    “Gab es denn einen speziellen Grund dafür, dass sie unglücklich war?”
    “Nein. Depression liegt bei uns in der Familie. Mutter war einfach zu fragil, zu … kraftlos, denke ich.” Es tat Madeline weh, so etwas über eine Frau zu sagen, die ihr Kind so sehr geliebt hatte. Über die eigene Mutter, an die sie sich so lebhaft erinnerte.
    “Wie reagierte Ihr Vater, als sie beschloss, ihrem Leben ein Ende zu setzen?”
    “Er war angewidert.”
    Offensichtlich geschockt blickte Hunter von den Seiten auf. “Irgendwie hatte ich so eine Bemerkung nicht erwartet.”
    “Sie müssen ihn verstehen, er hatte sich mit der Krankheit meiner Mutter jahrelang herumgeschlagen und irgendwann die Geduld verloren. Er war meiner Mutter überdrüssig, schon bevor sie sich das Leben nahm.”
    “Und wo bleibt da die Trauer? Kommt die in dieser Gleichung überhaupt vor?”
    Wie sollte sie es erklären? So hartherzig es klingen mochte: Madeline hatte Verständnis für das Gefühlswirrwarr und die Enttäuschungen, die ihr Vater durchlebt hatte. “Er bewunderte Stärke und betrachtete meine Mutter als … als irgendwie mangelbehaftet.”
    “
Mangelbehaftet
?”
    Sie versuchte es noch einmal. “Er war wütend. Seine Familie sollte in der Gemeinde stets eine Vorbildfunktion einnehmen. Stattdessen beging meine Mutter die in seinen Augen unverzeihlichste Sünde.”
    “Abscheu und Wut. Vielleicht hat Ihr Vater sie zu sehr unter Druck gesetzt. Möglicherweise konnte sie seinen hohen Ansprüchen nicht genügen und sah irgendwann keinen anderen Ausweg mehr.”
    “Ich jedenfalls könnte
mein
Kind nicht so einfach im Stich lassen”, unterstrich sie energisch.
    “Ich auch nicht”, murmelte er. “Und trotzdem bin ich jetzt hier, statt …”
    “Was haben Sie gesagt?”
    “Nichts.” Er hielt bei einem Bild inne, das Madeline im Alter von acht Jahren zeigte. Gegen die Verandabrüstung des Farmhauses gelehnt, strahlte sie trotz Zahnlücke fröhlich in die Kamera. Wahrscheinlich, so vermutete Madeline mit einiger Sicherheit, hatte sie sich bei genau dieser Gelegenheit das letzte Mal derart unbeschwert gefühlt. Bald darauf hatte sie vom Leiden ihrer Mutter erfahren und selbst angefangen, sich zu fürchten – wegen allem und jedem.
    “Hat sie einen Abschiedsbrief hinterlassen?”
    “Schon, aber es war nur die übliche Rechtfertigung – das Leben sei hoffnungslos und dergleichen.”
    “Wo ist das Schreiben jetzt?”
    “Mein Vater hat es verbrannt.”
    “Und das war Ihnen egal?”
    “Was hätte ich denn tun sollen? Er war doch außer sich! Und irgendwie schien es auch angemessen.”
    Hunter sparte sich einen Kommentar. “Wie sah es bei Ihnen denn finanziell aus?”, fragte er, wobei er zur nächsten Seite umblätterte.
    “Eng. Das galt für die meisten Leute in der Stadt. Aber wir hatten ein Dach über dem Kopf und genug zu essen. Ich weiß noch, dass mein Vater meiner Mutter genau das immer wieder unter die Nase gerieben hat. Und ihr sagte, sie könne doch heilfroh sein.”
    “Meinen Sie, sie hat sich mehr Kinder gewünscht?”
    “Das weiß ich nicht. Als sie mit mir schwanger war, gab es wohl Komplikationen. Bonnie Ray, eine Nachbarin von gegenüber, hat mir mal erzählt, meine Mutter sei gestolpert und gefallen, als sie im siebten Monat war. Da hätte sie beinahe eine Fehlgeburt erlitten. Durch den Sturz setzten die Wehen ein. Ich wäre um ein Haar im Kreißsaal gestorben.”
    “Also sind sie ein Frühchen? Zwei Monate zu früh auf die Welt gekommen?”
    Sie nickte. “Danach

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