Totgeschwiegen (Bellosguardo)
sprechen kann, wage ich zu bezweifeln.“
„Wenn ich mit ihm zusammen bin, geht es mir gut. Ich bin endlich wieder glücklich, Mama.“
„Na schön, mein Kind. Tu, was du für richtig hältst. Ich möchte doch nur nicht, dass du wieder verletzt wirst.“
„Alexander ist nicht wie mein grauenhafter Ex-Mann. Er hat seine Frau nicht betrogen, sondern durch einen schrecklichen Autounfall verloren. Er hat sie über alles geliebt und lange um sie getrauert.“
„Glaubst du denn, dass er mit seiner Trauer wirklich abgeschlossen hat und ein neues Leben mit dir anfangen kann? Hast du nicht Sorge, dass du im Schatten dieser Frau stehen wirst?“
„Ich glaube, Alexander wird seine Frau immer lieben und das ist für mich völlig verständlich und in Ordnung. Aber ich weiß, dass er auch für mich einen Platz in seinem Herzen hat. Ich will ihn glücklich machen und dabei selbst endlich glücklich sein.“
„Und was ist mit seinen Töchtern? Du hast sie noch nicht einmal kennengelernt.“
„Mama, ich lerne sie doch an Weihnachten kennen. Du wirst schon sehen, es wird alles gut werden.“
„Das hoffe ich so sehr für dich und ganz besonders auch für Sophia. Es wäre schön, wenn sie endlich einen Vater hätte.“
Die Gedanken waberten durch ihren Kopf. Alexander hatte sich von der Idee sofort und spontan zu heiraten, nicht abbringen lassen. Sie hatten in aller Stille, ohne Trauzeugen, standesamtlich geheiratet. Außer ihrer Mutter, Constantin und natürlich ihrer kleinen Sophia, wusste bis dato keiner davon. Solange Anna und Maya nicht Bescheid wussten, empfand sie es als nicht richtig, es ihren Freunden zu erzählen. Die ganze Beziehung zu Alexander hatte etwas Heimliches, Abenteuerliches und Aufregendes. Ja, ihre Mutter hatte schon recht gehabt: Ein wenig kam sie sich vor wie eine ihrer Romanfiguren.
5
Seit drei Tagen regnete es Bindfäden. Anna hatte die letzten Tage hauptsächlich in der Freizeit in ihrem Zimmer abgehangen. Normalerweise ging sie nach dem Nachmittagsunterricht auch mal bei den Jungs aus ihrer Clique, in deren Haus, vorbei. Aber sie hatte keine Lust gehabt, Max über den Weg zu laufen. Ihr hatten schon die Zusammentreffen in den gemeinsamen Kursen und bei den Mahlzeiten gereicht. Im Speisesaal hatten sie feste Tische und saßen mit ihren Mentoren – Lehrer, für die sie sich selbst entschieden hatten - zusammen. Der Mentor eines Schülers kümmerte sich um die schulischen Belange und hakte nach einer verpatzten Klausur auch schon mal nach. Ihr Mentor war eigentlich ganz cool. Herr Hoffmann war Sportlehrer, noch ziemlich jung und gelegentlich gingen sie auch mal alle gemeinsam mit ihm essen oder auf die Bowling Bahn im benachbarten Ort.
Leider hatte Max den glei chen Mentor wie sie und so ließ es sich nicht vermeiden, dass sie Frühstück, Mittagessen und auch noch Abendessen gemeinsam verbrachten. Max tat dabei einfach so, als ob sie gar nicht da wäre und Anna versuchte zu ignorieren, dass er sie wie Luft behandelte. Sie bat ihn wie selbstverständlich darum, ihr den Brotkorb oder die Butter zu reichen. Zuerst hatte er doch tatsächlich versucht so tun, als ob er ihre Bitten nicht hören würde, aber ziemlich schnell war er von den anderen Schülern am Tisch blöd von der Seite angemacht worden. Wo er denn mit seinen Gedanken wäre und ob er womöglich unter Liebeskummer leiden würde. Schnell wurden ein paar Witze gerissen und über einen möglichen heimlichen Schwarm gemutmaßt.
Zu ihrem großen Glück kam keiner der anderen acht Schüler an ihrem Tisch auf die Idee, dass Max ihretwegen Liebeskummer haben könnte. Die Vorstellung, dass sie beide ein Paar gewesen sein könnten, schien den anderen absolut fern zu liegen. Und um das Ganze noch ein wenig zu verstärken, stieg Anna in die Mutmaßungen der anderen mit ein und riet fröhlich mit. Dass sie dabei mit dem Feuer spielte, war ihr durchaus bewusst. Max könnte die Bombe ja platzen lassen. Er könnte vor versammelter Mannschaft erzählen, dass er und Anna eine Affäre gehabt hätten und dass sie ihn abserviert hatte. Allerdings bezweifelte sie, dass die anderen diese Version glauben würden. Und wenn er tatsächlich damit rausrücken würde, würde sie es eiskalt abstreiten. Gelegentlich nahm sie den bohrenden Blick Laras wahr, die auch an ihrem Tisch saß. Aber Lara würde ihr niemals in aller Öffentlichkeit in den Rücken fallen. Das wusste sie.
„Anna, sag mal, wegen Max, das ist ganz schön link, was du da
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