Totgeschwiegen (Bellosguardo)
verrichten. Je nach schwere der Tat gab es dafür eine unterschiedlich hohe Stundenzahl, die abgearbeitet werden musste. Nach einer großen Aussteigerparty waren immer viele Schüler dabei und da konnte das manchmal sogar ganz lustig sein.
Also grob gesehen, gab es in Annas Internat drei Sorten von Vergehen. Unverzeihlich : Beim Sex erwischt werden und Drogen. Gerade noch verzeihbar – aber Eltern wurden informiert: Dorfdisko besuchen, Schwarzauto im Nachbarort parken und benutzen. Die „Das-regeln-wir-unter-uns-Vergehen“: Alkoholkonsum außerhalb des Clubhauses, rauchen, Partys und nächtliche Besuche in anderen Häusern, soweit kein Sex nachweisbar war.
Anna zappte sich durch die Programme. Nichts wollte sie wirklich fesseln. Sollte sie doch noch ins Clubhaus gehen?
Domenik hätte sie schon zu gerne wiedergesehen. In den letzten drei Tagen hatte sie ihn nur von weitem gesehen. Beim Essen saß er ganz auf der anderen Seite des großen Speisesaals und Unterricht hatten sie auch fast nie zusammen in e inem Gebäude. Die Abiturienten hatten ihre Unterrichtsräume hauptsächlich in einem etwas abgelegeneren Haus. So wurden sie bei ihrer Abivorbereitung und ihren Klausuren weniger von den anderen Schülern gestört.
Domenik hatte keinen Versuch unternommen, sie irgendwo abzupassen und mit ihr zu sprechen. Das hatte sie in den letzten Tagen schon ziemlich gestört. Eigentlich hatte sie mindestens mit einer WhatsApp Nachricht gerechnet. Obwohl ... Er hatte ja weder ihre Handynummer, noch ihre E-Mail Adresse. Natürlich hatte sie nachgesehen, ob er einen Facebook-Account hatte. Zu ihrem großen Erstaunen schien er keinen zu haben. Das war in ihrem Internat ausgesprochen ungewöhnlich. Vielleicht war er ein Eigenbrötler? Aber so hatte er nicht auf sie gewirkt.
Wahrscheinlich war es von seiner Seite nicht mehr als ein kleiner spaßiger Flirt gewesen.
Nun denn. Dem Kerl laufe ich auf jeden Fall nicht hinterher.
Allerdings ging er ihr auch nicht aus dem Kopf. Das kurze Gespräch mit ihm im Clubhaus hatte sie in den letzten Tagen immer wieder rekapituliert.
„Du hast die faszinierendsten Augen, die ich jemals gesehen habe.“
Anna musste unwillkürlich seufzen. Ja, sie interessierte sich schon sehr für ihn. Und sie hätte heute Abend gerne mit ihm weiter geflirtet. Aber nicht unter dem bohrenden Blick von Max. Und deswegen konnte sie einfach nicht ins Clubhaus gehen. Sie mu sste ihn irgendwo anders wiedersehen. Bloß wo? Sie konnte ja schlecht in sein Haus gehen und ihn einfach so auf seinem Zimmer besuchen. In dem Haus wohnten keine Freunde von ihr. Sie hatte also noch nicht mal einen Grund, den sie vorschieben konnte.
Anna sah auf ihre Armbanduhr. Es war erst neun Uhr abends. Die anderen Mädchen würden nicht vor elf wieder da sein. Sie würde heute früh schlafen gehen. Warum auch nicht.
Sie erhob sich von ihrem Bett und machte sich daran, sich auszuziehen. Als sie gerade ihr T-Shirt ausgezogen hatte, klopfte es an der Tür.
Hoffentlich ist es nicht Max, der mir jetzt mit einem Problemgespräch kommt.
Sie beschloss, das Klopfen einfach zu ignorieren. Vielleicht traute sich Max nicht ungebeten herein.
Die Tür öffnete sich und vor ihr stand Domenik.
Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie ja nur noch mit Jeans und BH bekleidet war. Hektisch bückte sie sich und griff sich ihr T-Shirt, welches sie eben noch auf den Teppich hatte fallen lassen.
Domenik sah sie belustigt an.
„Was ist so komisch?“, fragte Anna verunsichert.
„Ach , nichts eigentlich. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dich so leicht bekleidet vorzufinden.“
„Ich habe dich schließlich nicht erwartet.“ Anna merkte, wie sie rot wurde. Schnell zog sie das T-Shirt über ihren Kopf und schlang, wie zum Schutz, die Arme um ihren Körper.
„Du brauchst dich nicht zu verstecken , Anna. Du hast nicht nur faszinierende Augen, wie ich gerade gesehen habe.“
„Willst du mich anmachen?“
„Mm, was denkst du, warum ich an einem Samstagabend in ein Mädchenhaus gehe und dich suche?“
Das war direkt. Und Anna merkte , wie ihr Gesicht glühte. Wahrscheinlich war sie gerade rot wie eine Tomate. Wie peinlich. Sie musste schnell in ihren coolen Modus zurückfallen. Aber ihr wollte beim besten Willen keine flapsige Antwort einfallen.
„Habe ich dich in Verlegenheit gebracht?“ Domenik sah sie intensiv mit seinen grünen Augen an.
„Ähm ja, ein bisschen. Ich stehe normalerweise nicht im BH vor
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