Totgeschwiegen (Bellosguardo)
Korb, aus dem etwas Buntes lugte. Anna ging näher ran, um zu sehen, was es war. Sie griff nach dem Korb und hievte ihn zu Boden. Er war ziemlich schwer. Sie warf einen Blick hinein und verspürte einen Stich in ihrem Herzen. Der Korb war gefüllt mit alten Bastelarbeiten von Maya und ihr. Bilder, Tongefäße, eine Büste aus Pappmaché, kleine Aquarellbilder auf Leinwand gemalt ...
Alles Arbeiten, die sie hier im Laufe der Jahre in den Ferien angefertigt hatten. Ihre Mutter hatte sie und ihre Schwester in den Ferienwochen immer mit ein paar Projekten beschäftigt. Ob es jetzt darum ging , den Garten zu malen oder nach einem Museumsbesuch eine Büste nachzubilden, sie hatte sich immer etwas einfallen lassen, um, wie sie sagte, die Kreativität und Phantasie zu fördern. Und sie hatte auch immer selbst mitgemacht. Gerade zog Anna, eine, mit Ölfarben gemalte, Ansicht der Vorderseite des Hauses heraus. Dieses Bild hatte ihre Mutter gemalt. Nie würde sie vergessen, wie Maya und sie gestaunt hatten, wie realistisch es gelungen war. Ihre Mutter hatte für viele Dinge ein Talent gehabt. Aber Malen und Fotografie hatten zu ihren Leidenschaften gehört. Zärtlich strich Anna mit dem Daumen über das Bild. Die Farbe fühlte sich kühl und etwas feucht an. Hier würde das Bild in kürzester Zeit vermodern.
Wie konnte ihr Vater das nur zulassen? Aber er hatte sich ja nie für die Bastelarbeiten seiner Kinder und seiner Frau interessiert. Wann war er denn schon dabei gewesen, wenn sie malten, bastelten oder töpferten?
Eine Erinnerung kam ihr in den Sinn, wo sie ihrem Vater, mit ganzem Stolz, zum Vatertag eine Collage aus alten Familienbildern gebastelt hatten. Sie erinnerte sich, wie enttäuscht sie gewesen war, als ihr Vater nur einen kurzen Blick darauf geworfen hatte und es mit „schön, die Bilder kenne ich ja schon“, kommentiert hatte.
Nein, ihr Vater hatte noch nie einen Sinn für so etwas gehabt. Für ihn waren das alles nur Staubfänger. Aber für sie waren es kostbare Erinnerungen.
„Ich möchte den Korb mit nach oben in mein Zimmer nehmen“, sagte sie knapp , ohne sich zu ihrem Vater umzudrehen.
„Mäuschen, ist alles in Ordnung?“, fragte ihr Vater vorsichtig.
Das war die falsche Frage gewesen. Mit einem Mal brach über Anna die ganze Trauer und Enttäuschung hinein. Sie drehte sich um und sah ihren Vater wütend an.
„Nichts ist in Ordnung, Papa. Du hast unsere Sachen lieblos hier abgestellt, damit sich deine neue Frau in unserem Haus breitmachen kann. Willst du das alles hier verrotten lassen, bis du einen guten Grund hast, es wegzuschmeißen? Warum willst du nichts mehr mit unserem alten Leben zu tun haben?“
Alexander zuckte zusammen. „Anna, bitte versteh doch. Das ganze Haus erinnerte an deine Mutter. Isabelle hat sich gefühlt wie ein Eindringling. Ich musste das ihr zuliebe tun.“ Er sah sie flehend an.
„Du musstest die Sachen von Mama auf den Müll werfen?“ Sie hielt ihm demonstrativ das k leine Ölbild vor die Nase. „Seit wann machst du, was jemand von dir verlangt? Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Mama sich eine neue Küche für dieses Haus gewünscht hat, aber du wolltest nicht. Und jetzt kommt so eine Tussi daher und du tanzt sofort nach ihrer Pfeife.“
„Deine Mutter sollte die Küche doch bekommen, Mäuschen. Wir hatten doch schon den neuen Boden im Erdgeschoß verlegen lassen. Ich hatte ihr gesagt, dass sie die neue Küche bestellen sollte. Aber in ihrem letzten Sommer ...“ Abrupt brach er ab und sah betreten zu Boden.
„In ihrem letzten Sommer war was , Papa? Irgendetwas war mit Mama anders. Das ist mir vorhin wieder eingefallen, als ich ihre Sommersachen angesehen habe.“ Anna sah ihren Vater durchdringend an. „Ihr habt euch ein paar Mal gestritten, da kann ich mich noch gut dran erinnern. Und Mama saß in der Zeit, in der du nicht hier warst, stundenlang auf der Bank hinten im Garten.“
„Bitte nicht , Anna.“ Alexander sah sie flehend an.
„Doch, ich will das jetzt wissen. Sie hat uns nicht mehr richtig zugehö rt. Sie war oft abwesend. Was war mit Mama in der letzten Zeit vor ihrem Unfall los?“
„Das betraf euch nicht, Anna. Weder dich noch deine Schwester.“
„Wir haben es aber zu spüren bekommen.“
„Das tut mir sehr leid. Das hat deine Mutter sicher nicht gewollt.“
„War sie krank?“
Statt ein er Antwort drehte er sich von ihr weg und verließ die Scheune.
Das war typisch für ihren Vater. Wenn die Sprache auf die letzten
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