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Totgeschwiegen (Bellosguardo)

Totgeschwiegen (Bellosguardo)

Titel: Totgeschwiegen (Bellosguardo) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Reiter
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ich würde dich gerne näher kennenlernen.“
    Annas Reaktion war ein erneutes undefinierbares Schulterzucken.
    „Was hältst du davon, wenn wir morgen früh gemeinsam das Wohnzimmer und den Baum schmücken?“
    „Ich bin morgen den ganzen Tag mit meinem Vater unterwegs“, sagte Anna wie aus der Pistole geschossen und wandte sich wieder ihrem Smartphone zu.
    „Ach so“, sagte Isabelle.
    Ihr fiel nichts ein, was sie darauf sonst erwidern konnte. Wollte Anna ihre Position als Tochter bei ihrem Vater deutlich machen, indem sie mit ihm den morgigen Tag verbrachte? Ausgerechnet der Tag, an dem noch so viel zu erledigen war. Wollte Alexander sie mit all dem allein lassen und mit Anna in der Zeit einen Ausflug machen? Er hatte doch eigentlich versprochen, ihr bei allem zu helfen. Führte dieses Mädchen jetzt einen Machtkampf gegen sie?
    Isabelle saß noch eine Weile auf dem Bett, aber nachdem von Anna keine Reaktion mehr zu erwarten war , verließ sie das Zimmer.
    Ihre Stimmung schwankte zwischen Niedergeschlagenheit und Wut.
    Sie ging den Flur entlang zu Alexanders Arbeitszimmer, klopfte einmal kurz und öffnete die Tür. Ihr Mann saß an seinem Schreibtisch und starrte auf das Familienbild mit Katharina und seinen Kindern.
    „Alexander , wir müssen reden.“
    „Ja, das müssen wir wohl “, erwiderte er matt.
    Entschlossen trat Isabelle an den Schreibtisch.
    „Ich weiß nicht , wie ich mich verhalten soll. Im Moment kommt es mir so vor, als ob jeder Schritt von mir ein Fehler ist. Ich möchte deine Tochter gerne kennenlernen und habe ihr gerade vorgeschlagen, mit mir das Weihnachtszimmer zu dekorieren, aber sie sagte mir, sie wäre morgen den ganzen Tag mit dir unterwegs. Alexander morgen ist Heiligabend.“
    „Ja, weiß ich und wir werden auch nicht den ganzen Tag unterwegs sein. Sie soll sich im Möbelladen etwas aussuchen, damit sie sich nicht mehr wie Aschenputtel fühlt.“
    „Aschenputtel? Ach so, ihr Zimmer. Das habe ich mir schon gedacht.“
    „Und warum hast du nichts gesagt?“
    „Du hast von Anfang an klargestellt, dass ihr Zimmer von der Neugestaltung ausgenommen ist.“
    „Aber du bist eine Frau, du warst auch mal ein siebzehnjähriges Mädchen. Du hättest mir sagen können, dass ...“
    „Was hätte ich dir sagen können? Ich habe dir gesagt, dass ich es besser gefunden hätte, wenn du Anna von unserer Hochzeit erzählt hättest. Außerdem h atte ich vorgeschlagen, dass du sie im Internat besuchst oder dass sie über ein Wochenende nach Hamburg kommt. Ich habe dir auch geraten, ihr wenigstens von den Veränderungen hier zu erzählen. Aber du hast jedes Mal gesagt, dass du das selbst auf deine Art regeln willst. Weil nur du weißt, wie man mit ihr umzugehen hat.“
    „Ach , Isabelle, ich hab es echt vermasselt. Sie fühlt sich hier wie ein ungebetener Gast. Ist das nicht schrecklich?“
    „Alexander, seit unserem Streit von vorhin f ühle ich mich genauso. Und der Einzige, der an dieser Situation etwas ändern kann, bist du. Und wenn du dazu nicht in der Lage bist, werde ich mit meinen Kindern nach Hamburg fahren. Dann hast du mit Anna soviel Zeit wie du willst und brauchst.“ Sie warf einen letzten Blick auf das Bild in seinen Händen. „Auf dem Foto kann man erkennen, wie glücklich ihr miteinander gewesen seid. “ Isabelle wandte sich zum Gehen.
    „Es ist nicht immer wie es scheint.“ Alexander griff nach Isabelles Hand.
    „Wie meinst du das?“
    „Dieses Bild stammt aus unserem letzten gemeinsamen Sommer. Ich selbst war während der Ferien kaum anwesend. Das Lächeln auf dem Bild ...“ Er deutete auf die strahlende Katharina. „Das ist nicht echt. Katharina war alles andere als glücklich.“
    „Oh. Willst du mir erzählen , warum?“
    „Nein, das kann ich nicht.“
    Deswegen sah er so häufig dieses Bild an. Suchte er in ihrem strahlenden Lächeln den Grund für ihren Tod? Wie oft grübelte er wohl über den Unfall, den sich keiner erklären konnte? Irgendetwas muss vorher vorgefallen sein. War Katharina depressiv gewesen? Gab sich Alexander vielleicht die Schuld an dem Unfall, weil er zu wenig bei ihr gewesen war? Möglicherweise war das der Grund, weshalb er seine Tochter wie ein rohes Ei behandelte. Vielleicht hatte er Angst, schon wieder einen Fehler zu begehen. Irgendwann musste sie ihn dazu bringen, mit ihr über Katharinas letzte Monate zu sprechen. Ansonsten würde über ihrer Beziehung immer ein schwarzer Schatten liegen. Aber dafür war heute nicht der richtige

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