Totgeschwiegen (Bellosguardo)
Schoß sitzen kann.“ Und sofort stieg Sophia von ihrem Stuhl runter, quetschte sich an Anna, die neben ihrem Vater saß, vorbei und kletterte auf seinen Schoß.
Isabelle konnte sehen , wie Anna bei dem Wort „Papa“ zusammengezuckt war. Alexander war anzusehen, dass ihm die Situation mehr als unangenehm war.
Warum hatten sie nicht daran gedacht, dass es für Anna schwierig sein müsste, wenn Sophia so vertraut mit Alexander war? Aber was hätten sie denn tun sollen? Dem Kind verbieten, diesen Mann in ihr kleines Herz zu schließen?
Sophia war von der Vorstellung , endlich auch einen Papa haben zu dürfen, begeistert gewesen. Isabelle hatte ein paarmal heftig schlucken müssen, als ihr bewusst geworden war, wie sehr ihrer Tochter ein Vater gefehlt hatte. Öfters schon war sie in der Vergangenheit aus dem Kindergarten gekommen und hatte gejammert, dass sie die Einzige ohne Papa wäre. Da hatte Isabelle jedes Mal das Herz geblutet.
Und jetzt sollte die Kleine wieder so tun , als ob Alexander nur der gute Onkel wäre, damit es für Anna einfacher wäre? Damit würden sie das Kind doch vollständig verwirren.
„Hey , Prinzessin, komm doch mal zu mir auf den Schoß, ich füttere dich auch“, warf mit einem Mal Constantin ein.
Sophia ließ sich das nicht zweimal sagen und wechselte schnurstracks den Platz zu ihrem großen Bruder.
Isabelle wäre am liebsten aufgesprungen und ihrem Sohn vor Dankbarkeit um den Hals gefallen. Sie atmete erleichtert auf. Auch aus Alexander schien die extreme Anspannung zu weichen.
Jetzt mussten sie nur noch schnell ein Gesprächsthema finden, in das auch Anna mit einbezogen werden k onnte.
Sollte sie nach dem Internat fragen? Oder besser nicht? Normalerweise fiel es Isabelle nicht schwer, Smalltalk zu führen, aber nach dem Ausbruch von Alexander vorhin, war sie total verunsichert. Warum konnte er eigentlich nicht mal ein Gespräch anfangen?
Ärgerlich sah sie Alexander an, der ihr am anderen Kopfende des Tisches gegenüber saß. Schon wieder wirkte er, als ob er völlig abwesend wäre.
Und auf einmal brach Anna die eisige Stille.
„Was hast du mit den ganzen Möbeln, die hier vorher waren, gemacht?“ Anna sah ihren Vater abwartend an.
„Ähm, die Möbel ... die sind in der Scheune nebenan.“
„Du hast alles einfach in die Scheune gestellt?“
„Ähm ja, Mäuschen. Wir mussten sie irgendwo lassen.“
„Ich will sie sehen.“ Anna schob ihren Stuhl zurück, erhob sich und verließ ohne ein weiteres Wort den Tisch.
Alexander sah ihr nach. Isabelle konnte sehen, wie er mit sich haderte. Anna würde mit Sicherheit nicht begeistert sein, wenn sie die übereinander gestapelten Möbel in der muffigen, kalten Scheune sah.
„ Willst du ihr nicht nachgehen?“, fragte sie so sanft wie sie konnte.
Alexander warf ihr einen harten Blick zu, erhob sich und folgte seiner Tochter, die gerade die Haustür hinter sich zugeschlagen hatte.
Isabelle saß wie erstarrt am Tisch. Mit gesenktem Blick begann sie die Teller zusammenzu stellen. Sie wagte es nicht, Constantin in die Augen zu sehen. Es war ihr so unangenehm, dass ihr Sohn hautnah mitbekam, wie abweisend ihr Mann sie behandelte. Sie fühlte sich elend.
Wie sollen wir bloß gemeinsam morgen Weihnachten feiern? Ich muss nachher mit Alexander reden, ansonsten steuern wir hier auf eine Katastrophe zu.
15
Das Schloss der großen Scheunentür klemmte. Anna drückte sich gegen die Tür und versuchte , mit aller Kraft, den Schlüssel umzudrehen.
Hoffentlich breche ich ihn nicht gleich ab.
Auf einmal hatte sie das überwältigende Verlangen nach den vertrauten Dingen verspürt. Sie musste die alten Möbel sehen, sie wollte sie berühren, vielleicht würden sie etwas Tröstendes haben.
Hinter sich hörte sie, wie jemand vom Haus d en Kies zur Scheune entlang ging. Das konnte nur ihr Vater sein.
Anna drehte sich nicht um und rüttelte noch fester an der Tür.
„Anna, warte, ich helfe dir.“
Ihr Vater war im Nu bei ihr und zog die Tür einmal fest an sich und drehte dann den Schlüssel um. Die Tür öffnete sich.
Anna drückte auf den Lichtschalter neben der Tür und hielt den Atem an.
Der Anblick der übereinander gestapelten Möbel , traf sie wie ein Schock. Es kam ihr vor, als ob ihr ganzes altes Leben lieblos auf einen Haufen geworfen war.
Langsam ging sie einen Schritt in die Scheune hinein. Ganz vorne stand die Ledercouch aus München. Auf der Couch standen diverse Umzugskisten. Auf den Kisten thronte ein großer
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