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Totgeschwiegen (Bellosguardo)

Totgeschwiegen (Bellosguardo)

Titel: Totgeschwiegen (Bellosguardo) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Reiter
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Mutter verdrängen wollte. Isabelle hatte mit ihrer Mutter nichts zu tun. Vielleicht lag es daran, dass Isabelle selbst zwei Kinder hatte und damit auch eine Vergangenheit. So genau konnte sich Anna das auch nicht erklären. Im Laufe des Tages war ihr nicht entgangen, wie erleichtert ihr Vater sie immer wieder angesehen hatte. Es fühlte sich beruhigend an, ihn endlich wieder lächeln zu sehen.
     
    Stirnrunzelnd holte Anna gegen frühen Abend ihr Handy aus der Nachttischschublade. Zehn verpasste Anrufe und sechs WhatsApp Nachrichten.
    Sie sah erst nach den Anrufen. Alle waren sie von Domenik. Die WhatsApp Nachrichten waren Weihnachtsgrüße von Lara, eine Fotostrecke aus dem australischen Sommer mit einer gut gebräunten Maya und vier Nachrichten von Domenik.
    Anna ließ d as Handy auf ihr Bett fallen. Musste sie sich jetzt weitere Beschuldigungen von ihm anhören? Oder wollte er sich tatsächlich entschuldigen?
    Anna öffnete seine Nachrichten und las.
     
    Anna! Wo bist du?
     
    Anna! Bitte melde dich!
     
    Anna! Bitte verlass mich nicht!
     
    Anna! Ich liebe dich!
     
    Viermal Anna hier und Anna da, aber kein Wort der Entschuldigung.
    Nachdenklich betrachtete sie die Nachrichten. Sie wurde aus Domenik nicht schlau. Es kam ihr vor , als ob er mehr als ein Gesicht hatte. Natürlich hatten viele im Internat ein echtes Ich und eine Fassade, die sie nach außen zeigten. Das war bei ihr ja nun auch nicht anders. Schließlich wollte man sich nicht verletzbar machen. Die Gefahr war zu groß, dass die Schwächen und Wunden, die jeder mit sich herumtrug, irgendwann einmal gegen einen verwendet werden konnten. Das allein war also nicht ungewöhnlich. Aber bei Domenik waren es, soweit sie ihn in der zugegeben noch kurzen Zeit kannte, schon drei Facetten, die er ihr gezeigt hatte.
    Er konnte der coole , super attraktive Typ sein, der mit seinen Freunden abhing, Witze machte und hemmungslos mit ihr vor allen anderen im Clubhaus flirtete. In diesen Domenik hatte sie sich verliebt.
    Hinter seinem zweiten Gesicht verbarg sich ein extrem eifersüchtiger Mensch, der Anna nur für sich haben wollte und es eigentlich nicht ertragen konnte, dass sie schon Freunde vor ihm gehabt hatte. Dieser Domenik konnte, wie sie nun schon zweimal hatte feststellen müs sen, ausgesprochen gemein und verletzend sein. Diesen Domenik mochte sie gar nicht.
    Und dann war da noch eine Facette. Ein verzweifelter Domenik, der sie anflehte, sie nicht zu verlassen. Der ihr seine Liebe bekundete und am liebsten jede Minute mit ihr verbracht hätte. Der sie ständig streichelte, küsste und ihr das Gefühl gab, über alles geliebt zu werden. Dieser Domenik verwirrte sie.
    Das Gefühl , einen Menschen zu lieben und zurückgeliebt zu werden, hatte ihr so viel Geborgenheit gegeben. Endlich war da jemand, der sich um sie sorgte und an sie dachte. Die letzten drei Jahre hatte ihr Vater ihr dieses Gefühl nicht gerade vermittelt. Maya sowieso nicht, aber das war ja nun auch nicht die Aufgabe einer Schwester.
    Natürlich hatte sie immer Lara an ihrer Seite gehabt. Aber Lara war nur ihre beste Freundin. Domenik hatte mit seiner extremen Nähe ein Verlangen in ihr ausgelöst, was ihr vorher gar nicht bewusst gewesen war. Auch wenn sie erst seit knapp zwei Monaten zusammen waren, hatte sie eine Sucht für ihn entwickelt. Als er so wütend auf sie gewesen war, wegen der Sache mit Max, und sie mit eisigem Schweigen bestraft hatte, war es ihr vorgekommen, als ob etwas in ihr brechen würde. Sie wusste, dass das nicht gut war. Es hatte sich zumindest nicht gut angefühlt. Irgendwie ungesund und verzweifelt.
    Hier z uhause war es merkwürdigerweise anders. Die verletzenden Nachrichten von Heiligabend hatten sie nicht so berührt wie der Streit im Internat. Lag es daran, dass er weit weg war?
    Oder lag es vielleicht sogar an der Anwesenh eit von Isabelle, Constantin, Sophia und ihrem Vater? Isabelle hatte ihr mit dem schön organisierten Weihnachtsfest so etwas wie Geborgenheit vermittelt. Und sie wusste, dass ihr Vater, auch wenn er ihr nie sonderlich viel Nähe gegeben hatte, immer zu ihr stehen würde.
    Im Kreise dieser Menschen fühlte sie sich sicher. Eigenartig, wo sie den Großteil davon kaum kannte. Und vor was fühlte sie sich eigentlich sicher? Vor Domeniks verletzenden Nachrichten oder vor ihm selbst? Liebte sie Domenik wirklich oder hatte sie sich nur von ihm verführen lassen?
    Doch, sie liebte ihn schon. Oder war sie nur in ihn verliebt? Ihre Mutter hatte ihr

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