Totgeschwiegen
sein?”
“Nein.”
“Das ist ja großartig! Ich bin vorhin bei dir vorbeigefahren und dachte, ich sehe dich vielleicht, aber du warst nicht da.”
Grace wollte nicht wieder über die Katastrophe in der Pizzeria nachdenken und sagte schnell: “Ich war einkaufen.” Sie nahm einen Schluck von ihrem Eistee und erinnerte sich an ihren panischen Besuch im Supermarkt, wo sie ganz schnell das Nötigste zusammengesucht hatte, um bloß keine weitere unangenehme Begegnung zu riskieren.
“Und wie läuft es bei dir in der Redaktion?”
Madeline arbeitete seit ihrem Universitätsabschluss als Chefredakteurin beim
Stillwater Independent.
Tatsächlich war sie auch die Inhaberin des Blattes. Sie hatte es gekauft, als sich die ursprünglichen Besitzer zur Ruhe gesetzt hatten. Das bedeutete, dass sie natürlich auch in wirtschaftlicher Hinsicht für die Zeitung einstehen musste, und das war nicht immer ganz leicht. Grace fragte sich oftmals, was wohl aus ihrer Stiefschwester geworden wäre, wenn ihr Vater nicht eines Tages verschwunden wäre. Hätte sie es bis zur
New York Times
oder zur
Washington Post
geschafft?
Madeline hatte früher oft davon gesprochen, dass sie irgendwann einmal für eine bedeutende überregionale Zeitung arbeiten wollte. Aber gleichzeitig brachte sie es nicht übers Herz, Stillwater für längere Zeit zu verlassen. Grace glaubte, sie fürchtete, ihr Vater könnte eines Tages zurückkommen und sie würde ihn verpassen. Oder hatte sie Angst, etwas anderes Wertvolles könnte plötzlich aus ihrem Leben verschwinden, wenn sie nicht darauf aufpasste? Seltsamerweise fühlte sich Madeline ihrer Mutter und Clay, ja sogar Molly, mehr verbunden als Grace.
Die Geschehnisse der Vergangenheit hatten jeden von ihnen auf andere Art getroffen. Grace hasste es, verletzlich zu sein, und tendierte dazu, Menschen aus ihrem Leben auszugrenzen. Madeline hingegen hatte Angst, sie könnte die Menschen verlieren, die sie liebte, und ließ sie deshalb nicht los.
“Der Zeitung geht es gut”, sagte sie. “Die Auflage steigt, vor allem, seit wir ‘Singles’ eingeführt haben.”
“Was ist das? Eine Rubrik? Kleinanzeigen?”
“Ein wöchentliches Feature, bei dem zwei Singles vorgestellt werden, eine Frau und ein Mann.”
“Ist ja spannend.”
“Ja, das ist es auch. Es bringt die Leute zusammen. Apropos – was hast du heute Abend vor?”
Grace fiel der Zettel ein, den sie an ihrer Haustür gefunden hatte, und musste lächeln.
Haben Sie an meine Kekse gedacht? Teddy.
“Ich werde backen.”
“Ernsthaft?”
Sie musste noch mehr lächeln. “Ja, ernsthaft.”
“Klingt lustig. Brauchst du vielleicht Hilfe?”
Grace’ Herz begann heftig zu pochen, aber dann gelang es ihr doch, ganz locker zu klingen: “Ja, klar.”
“Eigentlich wollte ich mit Kirk zusammen ein Video angucken, aber wir hocken die ganze Zeit aufeinander. Ich würde viel lieber bei dir vorbeikommen.”
“Ist das denn was Ernstes zwischen euch beiden?”
“Überhaupt nicht.”
“Du bist wirklich genauso schlimm wie ich, Maddy. Du kennst ihn doch jetzt schon seit drei Jahren.”
Madeline seufzte hörbar. “Ich weiß, aber wir kommen einfach nicht weiter in unserer Beziehung. Wir sind zu gut befreundet, um uns zu trennen, aber wir lieben uns nicht genug, um zu heiraten.”
“Tja. Molly und Clay geht es in dieser Hinsicht auch nicht besser”, sagte Grace.
“Clay könnte doch heiraten. Es gibt eine Menge Frauen, die sich für ihn interessieren. Aber ihm genügt es, wenn er eine Nacht mit ihnen verbringt. Er wird in unseren Charts der begehrtesten Junggesellen mit den geringsten Heiratschancen ganz oben geführt.”
Grace konnte gut verstehen, dass Clay vor einer Heirat zurückschreckte. Wie sollte er mit einem anderen Menschen in einem Haus leben, das ein so furchtbares Geheimnis barg? Und was wäre, wenn seine Frau eines Tages umziehen wollte? Er konnte die Farm nicht verlassen. Die halbe Stadt wartete nur darauf, sie auseinanderzunehmen.
“Und Molly ist ja erst neunundzwanzig”, fuhr Madeline fort. “In dem Alter noch Single zu sein, ist heutzutage keine Seltenheit.”
“Mit neunundzwanzig ist man wirklich alt genug, um verheiratet zu sein”, meinte Grace.
“Stimmt schon.”
Grace hatte keine Lust, über ihre eigene Situation zu sprechen, was zweifellos der nächste Punkt gewesen wäre. Also wechselte sie schnell das Thema. “Wie wär’s, wenn du Kirk einfach mitbringst?”
“Das ist eine Idee”, sagte Madeline, der es
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