Totsein ist Talentsache (German Edition)
Führerschein
abgenommen hat, sind sie ins Gespräch gekommen. Sie haben lange geredet. Und
sich danach immer wieder getroffen. Katjas geradlinige Art und ihr Hang zu
angewandtem Zynismus haben Bernd gut getan. Für sie wiederum ist die laienhafte
Psychotherapie anfangs eher unter dem Projektnamen „Katastrophenkind-Hilfe“
gelaufen, doch im Laufe der Zeit hat sich eine innige Kameradschaft zwischen
den beiden entwickelt. Endgültig besiegelt hat die Freundschaft allerdings die
gemeinsame Leidenschaft für Horrorfilme. Nun ist diese Art der Unterhaltung per
se nur für wenige Menschen attraktiv und gilt für den Österreicher im
Allgemeinen sowieso als moralisch verwerflich. Wie die Sonntagszeitung stehlen.
Oder Wein pantschen. Oder schwarzfahren. Viele tun es, aber keiner spricht
darüber. Also gruseln sich die beiden in inniger Freundschaft, aber heimlich.
Zwei Stunden und einige Gläser Sekt später hat Katja
einen neuen Fan. Die Kombination aus schwarzem Humor, scharfem Verstand und
einer gesunden Portion Realitätsverweigerung – Katja feiert seit fünf Jahren
konsequent ihren 29. Geburtstag - gefällt Anna. Ihr fehlt eine Freundin, mit
der sie Freude, Sorgen, monatliche Beschwerden und all die übrigen wichtigen
und unwichtigen Dinge des Lebens in Einzelteile zerlegen und neu zusammensetzen
kann. Das liegt daran, dass Annas Kameradinnen in letzter Zeit vornehmlich mit
reich heiraten, Kinder kriegen und der Suche nach der perfekten
Kücheneinrichtung beschäftigt sind. In genau dieser Reihenfolge. Jo fällt aus.
Trotz seiner vielschichtigen Persönlichkeit hat sich ihm seine weibliche Seite
noch nicht erschlossen. Und Sophie zählt nicht. Die ist befangen.
Freudig sieht Bernd, dass die beiden Frauen sich
ausnehmend gut verstehen. Mit gemischten Gefühlen nimmt er zur Kenntnis, dass
sie sich gegen ihn zu verbrüdern scheinen. „… hat er? Echt? Nein! Gibt´s Fotos?
Ja, bitte! Unbedingt zeigen!“
Er nimmt einen Schluck von seinem Bier und versucht
zu retten, was zu retten ist: „Katja, setz ihr keine Flausen in den Kopf. Das
ist kontraproduktiv. Du solltest mich gut dastehen lassen, sonst gibt Anna mich
zurück. Sie hat noch drei Wochen Umtauschgarantie.“ Kichernd zieht Katja an
ihrer Zigarette, während Anna ihrem Freund ins Ohr flüstert: „Mach dir keine
Sorgen, ich geb dich nicht zurück. Das kann ich Katja nicht antun. Die hat
sicher genug mit ihren Jungs zu tun.“
Katja ist seit fast zehn Jahren Polizistin. Sie liebt
ihre Arbeit. Weil kein Tag wie der andere ist. Und weil ihre Kollegen Schafe im
Wolfspelz sind. Lauter harte Kerle, denen man selbst tagsüber nicht alleine
begegnen will und doch fast jeder eine Seele von Mensch. Sagt Katja. Und da
widerspricht man nicht.
Auch das hat Anna sehr schnell herausgefunden. Auf
den Punkt gebracht: Katja hat immer recht. Selbst, wenn sie nicht recht hat und
hundert unwiderlegbare Beweise dafür vorliegen. Auf den Doppelpunkt gebracht:
Katja ist dagegen. Allerdings nur im unwahrscheinlichen Fall, dass ihr die
Argumente fürs Recht haben ausgehen.
Katja kann sich jedoch keineswegs für alle Kollegen
erwärmen. Da sie in Bernd einen geduldigen und in Anna einen enthusiastischen
Zuhörer vor sich weiß, lässt sie sich in epischer Breite darüber aus: „Ihr
wisst ja: Der Polizeiapparat in Österreich besteht grundsätzlich aus zwei
verschiedenen Einheiten. Zum einen ist da die allseits bekannte, klassische
Exekutive, die sich um Recht, Ordnung und untadeliges Verkehrsverhalten
kümmert. Das ist meine Partie. Und dann gibt es noch die AFFE , von der
aber niemand so genau weiß, was diese Einheit tut, für wen und warum.“
Nicht einmal die
Bedeutung des Akronyms ist bekannt. Die Beamten der Sonderabteilung sind auf
einem ehemaligen Brauereigelände im 16. Wiener Gemeindebezirk stationiert.
Direkt gegenüber von Katjas Wachzimmer. Wer nicht dazugehört, kommt da nicht
rein. Kommunikation zwischen den weitschichtig verwandten Abteilungen findet
grundsätzlich keine statt. Dementsprechend lässt sich kaum etwas über sie
herausfinden. Das wurmt Katja und beleidigt ihre Überzeugung, über so ziemlich
alles Bescheid zu wissen.
„Vom Raucherkammerl im Dachgeschoss aus sieht man
aufs Gelände rüber. Ich sag euch, das ist manchmal besser als Kino! Die AFFEn
geben sich nämlich super-geheimnisvoll und tun sehr oft echt seltsame Dinge.
Die können zum Beispiel nicht einfach quer durch den Innenhof gehen, wie jeder
normale Mensch. Die schleichen an den
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