Totsein ist Talentsache (German Edition)
linke Schulter und
knetet sie mit kreisenden Bewegungen. Mit gesenktem Kopf murmelt er Flüche in
seinen Schoß.
Anna nutzt seine
Unaufmerksamkeit, geht zu Bernd und stellt sich hinter ihn. Die Situation wird
immer bedrückender. Die entsetzlichen Erlebnisse der letzten Stunden. Das
unfassbare Los von Max. Dieser abscheuliche Janus. Anna hat längst jede
Hoffnung aufgegeben, heil aus der Sache heraus zu kommen. Aber zumindest die
wenigen Momente, die ihr noch bleiben, möchte sie ganz nah bei einem Menschen
verbringen, der ihr nichts Böses will. Mit Wehmut denkt sie an Sophie, die nie
erfahren wird, was mit ihnen geschehen ist. Die Tochter, den Ehemann und den
Vater auf einmal zu verlieren und nicht mal zu wissen warum und an wen. Anna
schluckt die aufsteigenden Tränen hinunter. Wenn sie von Sophie etwas gelernt
hat, dann über den Dingen zu stehen. Oder zumindest so zu tun, als könnte man
es. Gefasst richtet sie sich auf und stellt sich neben Bernd.
Als Katja und Jo sich zu ihren Freunden gesellen,
heben die AFFEn alarmiert ihre Pistolen. Die Fluchtmöglichkeiten sind für die
Gefangenen am Schreibtisch vorne zwar genauso gering, sie können also keinen
groben Unfug anstellen. Aber sicher ist sicher.
Katja empfindet ähnlich wie Anna. Allerdings macht
ihr nicht so sehr Janus selbst Angst, sondern vielmehr seine Unberechenbarkeit.
Bösartigkeit, Machtgier und Launenhaftigkeit sind eine brisante Mischung. Katja
wäre gerne woanders. Vor allem, weil dieses Gemisch demnächst hochzugehen
droht. Außerdem hat sie in ihrem ganzen Leben noch nie einen so garstigen
Menschen gesehen. Von den Halbverwesten im Hof mal abgesehen. Aber die können
nichts dafür. Die sind ja tot. Quasi.
Jo steht neben ihr und wartet gespannt, dass Janus
seine Erzählung fortsetzt. Der Inhalt trifft genau seinen Geschmack. Außerdem
wäre das guter Stoff für einen Film. Wenn er jetzt noch etwas zu knabbern
hätte, wäre Jo wahrscheinlich der zufriedenste Todeskandidat der Welt.
Johann bleibt in
der Mitte des Raumes stehen. Er kennt die Geschichte schon. Auswendig. Ein
Sekundant, der etwas auf sich hält, ist mit seinem Unternehmen von Grund auf
vertraut. Dass ausgerechnet dieses Thema als lebensverlängernde Maßnahme dient,
könnte man fast schon als Ironie des Schicksals bezeichnen.
„Dank sorgfältiger Aufzeichnungen haben sie die
Formel rekonstruieren können“, fährt Janus plötzlich fort. Er redet getragener
als zuvor. Als würden ihm das Sprechen Mühe bereiten. Aber vielleicht verlangt
das Folgende auch einfach mehr Pathos.
„Und dank einiger überlebender Gefangener in den
hinteren Zellen haben sie auch genug Versuchspersonen gehabt. – Was schauen Sie
so fassungslos? Es ist Krieg gewesen. Deserteure und Kriegsverbrecher hat´s
überreichlich gegeben. Sie haben sich zum Teil sogar freiwillig nach Lainz
verlegen lassen. In dem Glauben, dass es um harmlose Medikamententests geht.
Und in der Hoffnung, dass sie mit einem blauen Auge oder einer leichten
Leberzirrhose davonkommen.“ Janus schüttelt verständnislos den Kopf, als er
Annas entsetzten Blick sieht. „Egal. Nach mehreren Versuchen haben sie
herausgefunden, wie die exakte – weil individuell abgestimmte – Dosierung
aussehen muss und erfolgreich die ersten hochwertigen Untoten geschaffen.“
Jo räuspert sich, hebt seine Hand und zeigt wie ein
Schuljunge mit zwei Fingern auf: „Entschuldigung, aber ich verstehe da etwas
nicht ganz. Wie genau soll denn das funktioniert haben? Die haben den Leuten
Drogen gegeben und daraufhin sind sie zu Fressmaschinen mutiert? Was soll daran
bitte hochwertig sein?“
Janus Blick verfinstert sich zusehends. Dieser
unrasierte Flegel unterbricht ihn und stellt die Arbeit seines Vaters infrage?
Gut, das hat er auch getan. Aber erst viel später. Langsam, als würde er mit
einem Kleinkind sprechen, erklärt Janus: „Man hat den Leuten diese Mischung
injiziert und sie gleich darauf getötet. Und dieser Moment ist der springende
Punkt.“ Janus bekräftigt diese letzte Aussage, indem er seinen rechten
Zeigefinger durch die Luft hüpfen lässt. Katja macht das auch öfters.
Augenblicklich beschließt sie, sich von dieser Angewohnheit zu trennen.
„Zum Zeitpunkt des Todes, genau in der Sekunde, wenn
sein Gehirn zum allerletzten Mal zuckt, ballt sich nämlich das gesamte
Potential eines Menschen, die Quintessenz seines Intellekts, im Frontallappen
zusammen. Oder links davon. Oder rechts. Je nach Begabung eben. Man kennt das
aus
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