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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Schüler. Nur sie. Sie hat mir gewinkt, ich hab ihr zugenickt. Hat sie nicht gesehen, ging alles zu schnell. Hab damals meine Aussage bei der Polizei gemacht. Hab ja nichts Wichtiges gesehen. Ich war kein richtiger Zeuge.«
    »Wieso warst du kein richtiger Zeuge, Papa?«
    Mit einem Buch, dessen vergilbte Seiten sogar auf die Entfernung zu erkennen waren, stand ein etwa zehnjähriger rothaariger Junge in der Tür zum Flur. Verglichen mit der Nase von Polonius Fischer, war die des Jungen eine Erbse, umringt von Sommersprossen, von denen einige vom Rand der runden Brille verdeckt wurden. In seinen engen blauen Jeans und dem schmal geschnittenen Kragenhemd sah er mager aus. In seinem Blick lag eine ähnlich farblose Schwermut wie in dem seines Vaters.
    »Da kommt Marius«, sagte Hochfellner.
    Der Satz rührte den Kommissar. Marius wirkte nicht so,als würde er je irgendwo hinkommen, eher so, als wären sämtliche Ecken der Welt nur für ihn bestimmt, und alle lägen im Schatten.
    »Grüß dich, Marius«, sagte Fischer.
    Der Junge musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen, während er das Buch mit beiden Händen vor der Brust umklammerte. Bisher hatte Hochfellner mit keinem Wort erwähnt, dass sein Sohn sich in der Wohnung aufhielt. Die ganze Zeit hatte Fischer vom Flur her keinen Laut gehört.
    »Du hast versprochen, mir den letzten Mohikaner weiter vorzulesen«, sagte Marius mit leiser Stimme.
    »Mach ich doch auch.« Noch immer saß Hochfellner vornübergebeugt auf dem Sofa, die eine Hand auf der Mappe, die Faust der anderen aufs Kissen gestützt.
    Wortlos schaute Marius den Kommissar an. Aus dem oberen Rand seines Buches ragte ein grünes Lesezeichen.
    »Ich heiße Polonius Fischer.«
    »Das weiß ich schon.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich hab an der Tür gelauscht.«
    »Wie Falkenauge.«
    »Nein«, sagte Marius, »wie Chingachgook.«
    Noch einmal wandte Fischer sich an Hochfellner. »Danke für Ihre Zeit, ich hoffe, dass Sie bald wieder arbeiten können.«
    »Das hofft die Mama auch«, sagte Marius. Er hatte sich noch keinen Millimeter bewegt. Lautlos wie ein Indianer hatte er seine Zimmertür geöffnet und war herübergeschlichen.
    Fischer stand auf und gab Hochfellner, der sich ebenfalls erhob, die Hand. Der Busfahrer drückte sie flüchtig und schaute, wie aus zwanghafter Gewohnheit, wieder zum Fernseher.
    »Die kleine Scarlett, die kleine Katrina …« Er blickte seinenSohn mit verzerrter Miene an. Der Junge runzelte die Stirn und machte seinem Vater wortlos Platz.
    »Machs gut«, sagte Fischer.
    Marius hob die rechte Hand wie zu einem indianischen Gruß.
    Hochfellner hatte die Wohnungstür schon halb geöffnet. »Haben Sie mit Scarletts Vater gesprochen?«, sagte er.
    »Damals.«
    »Steht in seiner Aussage nichts drin, ob die Scarlett noch jemandem begegnet ist an dem Tag?«
    »Das kann ihr Vater nicht wissen«, sagte Fischer. »Er war dienstlich unterwegs.«
    »Mittags war er da«, sagte Hochfellner. »Ich hab ihn gesehen.«
    »Sie haben Scarletts Vater gesehen, nachdem das Mädchen Ihnen gewinkt hat?«
    »Nein.« Wieder durchfuhr den Busfahrer ein Frösteln. »Ich hab seinen Wagen gesehen, den schwarzen Porsche, den hab ich gekannt, weil er Scarlett damit ein- oder zweimal an der Haltestelle abgeholt hat, sie war jedes Mal ganz überrascht.«
    »Der schwarze Porsche stand an jenem 8. April in der Lukasstraße?«
    »War das der 8. April? Ja, der Wagen stand da, ich glaub, es saß jemand drin. Kann ich nicht beschwören. Ist zu lange her.«
    »Der Polizei haben Sie das nicht erzählt, Herr Hochfellner.«
    »Nein? Wahrscheinlich fand ichs nicht wichtig. Der war ja da zu Hause.«
    »Scarletts Eltern waren damals schon getrennt, ihr Vater hatte eine eigene Wohnung.«
    »Hab ich nicht gewusst. Hat mir niemand erzählt. Sonstwar ja nichts. Das arme Mädchen hat mir gewinkt. Das war alles.«
    »Ja«, sagte Fischer.
    Hochfellner nickte, und bevor Fischer noch etwas sagen konnte, schloss er leise die Tür und sperrte sie ab.
    Im Treppenhaus roch es nach frisch gebackenem Kuchen. Fischer sog wieder den Duft ein und leckte sich die Lippen und schmeckte Kaffee auf der Zunge, heißen, frisch zubereiteten Espresso. Er stand da und kaute und schmatzte.
     
    »Was bedeutet das?«, fragte Liz Sinkel am Telefon.
    »Wenn es tatsächlich der Porsche von Borkham war«, sagte Fischer, »dann muss er von Augsburg mit dem Dienstwagen nach München zurückgekehrt, in sein eigenes Auto umgestiegen und nach Ramersdorf gefahren sein.

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