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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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eingeweiht?«, fragte sie schnell.
    »Vielleicht ist das Mädchen aus einem ganz anderen Grund verschwunden.«
    »Glaubst du das? Glaubst du, dass das Verschwinden von Marcel und Silke nicht zusammenhängen?«
    Fischer ließ sich mit der Antwort viel Zeit. Ein blauer Linienbus hielt an. Zwei Frauen stiegen aus, und der Bus fuhr auf der Orleansstraße weiter in Richtung Ostbahnhof, dorthin, wo Kurt Hochfellner die achtjährige Karina überfahren hatte.
     
    »Ich glaube es nicht«, sagte Fischer.
    Eine Weile sagten beide nichts.
    »Hat das LKA inzwischen den Mantel zurückgebracht?«, fragte Fischer.
    »Weiß ich nicht«, sagte Liz. »Was hast du jetzt vor?«
    »Ich suche weiter.«
    »Was denn?« Ihre Wut überrumpelte sie. »Hör auf damit. Leg dich schlafen. Spinnst du denn?«
    »Nein«, sagte Fischer. »Ich ruf dich wieder an, Liz.«
    Sie schrie fast ins Telefon. »Du rufst mich wieder an? Das ist doch Mumpitz, was du da treibst. Wenn Weningstedt oder Linhard das mitkriegen …«
    Er hatte die Verbindung unterbrochen und tippte schon die Nummer der Vermisstenstelle.

12
»Du kannst weitersprechen, Scarlett«
    Ein verlassenes einstöckiges Haus mit einer grünen, abblätternden Rauputzfassade und geschlossenen braunen Fensterläden. Ein verwilderter Vorgarten, Sträucher, eine knorrige Fichte, zum Bürgersteig hin ein Palisadenzaun. In diesem Haus in der Lukasstraße, unweit des Ostparks, wohnte seit Langem niemand mehr. Abfallreste lagen im fauligen Gras, zerknüllte Zigarettenschachteln, zerrissene Zeitungsseiten, eine schmutzige rote Kinderschaufel.
    Zwei Häuser weiter, an der Ecke zur Berger-Kreuz-Straße, umgab eine Thujenhecke das Grundstück. In einem der Fenster brannte ein Lichterkranz. Die Steintreppe zur Haustür sah aus, als wäre sie vor Kurzem mit einem Hochdruckreiniger abgesprüht worden. An der Tür hing ein goldfarbener Schutzengel. Auch dieses Haus – wie die meisten in der nahen Umgebung – hatte nur ein Stockwerk. Die oberen Fenster waren dunkel.
    Nachdem Fischer sich an einer der Steinstufen die Schuhe abgeklopft hatte, wollte er klingeln. Auf keinem der beiden Schilder stand ein Name. Er drückte auf den unteren Knopf. Mindestens eine Minute verging, bevor jemand eine Zimmertür öffnete.
    »Wer ist da?«, sagte die Stimme einer Frau.
    Fischer nannte seinen Namen und erklärte, er beschäftige sich mit dem Fall Scarlett Peters. »Sind Sie Frau Thalheim?«
    »Woher kennen Sie meinen Namen?«, fragte sie.
    »Aus den Akten«, sagte er, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte.
    »Na gut.« Sie drehte den Schlüssel und zog die Tür auf.
    Vor ihm stand eine Frau um die fünfzig, mit weißen, schulterlangen Haaren und einem hellen, leicht geröteten Gesicht. Sie war kleiner als er, nicht gerade schlank, das Gewicht verteilte sich vor allem auf die Hüften und die Brust. Sie trug Jeans und eine aus der Hose hängende weiße Bluse und roch ein wenig nach Schweiß und ein wenig stärker nach Zigaretten und Bier.
    Sie sagte: »Und was wollen Sie jetzt nach all den Jahren?«
    »Zeugen haben vielleicht neue Spuren entdeckt«, sagte Fischer. »Wir sind noch nicht sicher, wir verfolgen die Spuren, es ist schwierig.«
    Wenn er schon illegal ermittelte, musste er zumindest auf seine Worte achten, damit sie ihm später nicht falsch ausgelegt werden konnten. In so einer Situation war er noch nie gewesen.
    »Sie sehen extrem müde aus«, sagte sie. »Sind Sie krank? Kann ich bitte Ihren Ausweis sehen?« Ihre großen dunklen Augen wurden noch dunkler, noch größer.
    Sein Dienstausweis steckte in der Innentasche des Anoraks, und er musste erst umständlich den Reißverschluss aufziehen. Trotz seiner Anspannung fiel ihm auf, dass es im Haus vollkommen still war. Auf der Berger-Kreuz-Straße, der Strecke des Linienbusses 155, herrschte wenig Verkehr. In den Seitenstraßen rund um die Lukasstraße war kein Auto unterwegs.
    Sie gab ihm den Ausweis zurück. »Ich heiß Linda«, sagte sie. »Dann kommen Sie rein und erklären mir, warum Sie den alten Fall neu aufrollen wollen. Was ist? Trauen Sie sich nicht?«
    Fischer stand auf der Treppe, die Arme hingen an ihm herunter. Plötzlich wusste er nicht mehr, wo er war. MehrereSekunden lang verlor er die Orientierung. Er hatte vergessen, wie er hierhergelangt war und welche Absichten er verfolgte. Er wollte die Hand heben, um seinen Hut abzunehmen, aber ihm fehlte die Kraft. Die Erschütterung war so stark, dass er die drei Steinstufen wieder hinunterging, auf der

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