Totsein verjaehrt nicht
bringen, du musst den Betrag quittieren.«
Ludwig Dorn hob sein Glas, prostete Fischer zu und tunkte die Hälfte seines Gesichts in den Schaum.
Vom Wohnzimmerfenster aus konnte man den schwarzen Porsche sehen. Robert Borkham hatte ihn nicht vor der Hecke seines Hauses in der Grenzstraße, sondern auf dem schmalen Endstück der Balanstraße geparkt. Die Straße lief an einem offenen Feld aus, nachdem sie zuvor als eine der meistbefahrenen Verbindungsstraßen vom Rosenheimer Platz im Osten Münchens bis zum Fasangarten im Süden vier Stadtteile durchquert hatte.
Das Auto glänzte sogar im trüben Licht dieses Februartages. Es war das Einzige, was in diesem Straßenabschnitt stand. Borkham schien den Ausblick zu genießen. Er blickte, während er mit Fischer redete, ständig nach draußen, vermutlich darauf bedacht, so desinteressiert wie möglich zu erscheinen. Er habe, sagte er, Besuch von einer Freundin, sie wollten gleich an den Starnberger See zum Kaffeetrinken fahren. Fischer versprach, nicht lange zu stören.
Während Fischers Anwesenheit tauchte Borkhams Freundin nicht auf.
»Der Zeuge ist sich ganz sicher, Herr Borkham.«
Wie vor jeder Antwort ließ Borkham einige Zeit vergehen.
Er war zweiundvierzig, hatte breite, durchtrainierte Schultern, große Hände und kurz geschnittene blonde Haare. Er trug einen weißen Rollkragenpullover und eine dunkle, enge Hose. Wenn er sich bewegte, schob er die Hüften vor. Er blinzelte wenig, seine Augen waren ozeanisch blau. Fischer bildete sich ein, Borkhams Gesicht würde ihn an das von Scarlett erinnern, das er von den Fotos kannte.
»Ich war in Augsburg«, sagte Borkham zum zweiten Mal.
»Bitte denken Sie noch einmal genau nach.«
Der Mann schaute nach draußen, stemmte die Hände in die Hüften, schüttelte den Kopf. »Was Sie hier treiben, das macht meine Tochter nicht mehr lebendig, es reißt nur alte Wunden auf.«
Draußen flogen Krähen über das Feld, Fischer hörte ihre Schreie. Er hörte sie so deutlich, als flögen sie direkt am Fenster vorbei.
Borkham spitzte den Mund. »Sind Sie bei meiner Exfrau auch gewesen?«
»Ja. Sie zieht weg aus München.«
»Ist Ihr Chauffeur gestorben? Warum erzählen Sie mir das?«
»Wussten Sie es?«
Er ließ sich Zeit. »Ist mir egal, was die Frau macht. Diese Frau ist eine Null in meinem Leben, die existiert nicht. Manchmal fällt mir nicht mal ihr Vorname ein, glauben Sie das?«
»Nein«, sagte Fischer. »Sie ist die Mutter Ihrer Tochter.«
»Das hat die Scarlett nicht verdient gehabt. So eine Mutter ist eine Schande. Die Scarlett hat sich geschämt wegen ihr, wegen der Typen, die sie dauernd angeschleppt hat, wegen ihrer ganzen Art, ihrer Rumhurerei, ihrer Sauferei, ihrem beschissenen Leben. Soll ich Ihnen was sagen? Sie haben zwar nicht das Recht, das zu erfahren, aber ich sags Ihnen trotzdem. Die Scarlett hat mich heimlich angerufen. Nicht nur einmal im Jahr, jeden Monat mindestens einmal, oft zweimal in der Woche. Das arme Mädchen hat am Telefon geweint, die wollt ihre Mutter nicht mehr sehen, die wollt nur noch weg. Raus da, weg da, weit weg.
Ich hab sie getröstet und ihr zugeredet. Unfassbar, dass ich das getan hab. Ich hab ihre Mutter praktisch verteidigt. Ich hab zur Scarlett gesagt, sie darf nicht so traurig sein, sonst wird sie krank davon. Solche Sachen hab ich zu ihr gesagt. Und ich hab ihr gesagt, die Mama muss viel arbeiten und sie darf dann auch mal ausgehen und länger im Gasthaus bleiben und sie darf auch einen Freund haben. Solche Sachen. Unfassbar.
Ich hab mich selber fast geschämt. Was hätt ich sagen sollen? Die Scarlett wollt bei mir leben, das ging natürlich nicht. Ihre Mutter war die Erziehungsberechtigte, ich bin ja weg, da war die Scarlett noch ganz klein, zwei Jahre oder so. Wir hatten wenig Kontakt. Trotzdem fing sie irgendwann an, mich anzurufen, in der ersten Klasse Grundschule. Sie hat von sich aus angerufen, die Nummer hatte sie von der Auskunft, können Sie das glauben? Sie rief bei der Auskunft an, mit knapp sechs, und dann hat sie nicht mehr lockergelassen. Ihre Mutter hatte keine Ahnung davon, die war eh nie zu Hause, die hat sich einen Dreck gekümmert. Sie ist lieber mit den Typen mitgegangen als nach Hause zu ihrer Tochter. Die war doch froh, als die Scarlett verschwunden war, da hat sie sofort wieder neue Kerle getroffen und ist mit denen ins Bett. Für die ist der Tod von der Scarlett das Beste, was ihr passieren konnt. Und ich war an dem Tag, an dem sie
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