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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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nicht.«
    »Und Ihr Sohn bleibt immer zu Hause.«
    »Das ist da nichts für ihn, die rauchen ja alle, wir sind ja ein Raucherclub.«
    »Bevor Sie heut früh die Wohnung verlassen haben, hatten Sie einen Streit mit Ihrem Sohn. Wäre er gern mitgekommen?«
    Ohne auf die Tasten zu schauen, tippte Valerie an ihrem Bistrotisch jedes Wort in den Laptop.
    Eva-Maria Rinke zog die Schultern ein, kratzte sich mit fünf Fingern am Hinterkopf, stöhnte schwer. »Mitkommen wollt der doch nicht. Der kommt doch nie mit, das hab ichdoch schon gesagt. Ich hab Kopfweh, ich kann gar nicht richtig denken. Was war die Frage?«
    »Worüber hatten Sie mit José Streit, Frau Rinke?«
    »Nichts Besonderes, das Übliche. Er macht halt immer Krach am Sonntag. Ich hab schon tausendmal zu ihm gesagt, er soll nicht so wild auf seinen Trommeln rumschlagen oder in seine Trompete reinblasen, das ist schrecklich. Ich krieg jedes Mal einen Schreikrampf, wenn er das macht. Er dreht total durch, kann nicht mehr aufhören, haut auf allem rum, was er findet. Und dann brüllt er, als würd ihn jemand abstechen. Ich kann das nicht ertragen, ich brauch Ruhe am Sonntagmorgen. Ich steh gern langsam auf, mach mir einen Kaffee, schau eine halbe Stunde schön fern, zieh mich an und mach mich fertig zum Brunch. Und wenn er dann so rumplärrt, flipp ich aus, das kapiert er einfach nicht, er ist so trotzig. Im Kindergarten ist der nämlich nicht so, ich hab mich extra erkundigt. Da sitzt er brav auf seinem Stuhl und macht, was die Frau Wegmann ihm sagt. Da gehorcht er, nur bei mir nicht. Bei mir veranstaltet er jeden Sonntag diesen Wahnsinn.«
    »Und heute früh war es besonders schlimm«, sagte Fischer.
    »Ich hab zu ihm gesagt, wenn er nicht sofort aufhört, passiert was Schlimmes. Er hat nicht aufgehört. Hat nicht aufgehört. Wollt einfach nicht still sein. Nicht still. Ich bin rüber und hab ihn gepackt, und er hat weitergebrüllt, und ich hab zu ihm gesagt, wenn er nicht sofort still ist, drück ich ihm den Hals zu. Hat nichts genützt. Der wollt nicht still sein, wollt mir nicht gehorchen. Das war alles so laut, so laut, mir ist der Kopf geplatzt. Ich frag mich immer, wo er diese Stimme herhat, das ist fast unmenschlich. Ein Fünfjähriger hat doch normalerweise nicht so eine Stimme. Das können Sie sich nicht vorstellen, wie der José schreien kann. Und nur bei mir. Immer nur bei mir.«
    »Als er endlich still war, sind Sie weggegangen«, sagte Fischer.
    »Erst musst ich mich anziehen, ich war ja noch im Nachthemd.« Sie hustete und röchelte und kratzte sich an der Hand. »Duschen musst ich auch noch und mich schminken. Ich hab dann alles gemacht. Dann bin ich gegangen. Irgendjemand ist mir im Treppenhaus entgegengekommen und hat was zu mir gesagt, hab ich aber nicht verstanden. Ich hatts eilig, ich war ja spät dran, viel zu spät war ich. Bei der Kathie hab ich erst mal einen Prosecco gekriegt, dann gings mir besser. Jetzt gehts mir nicht gut, ist da ein Aspirin in dem Wasser?«
    »Nein«, sagte Fischer. »Sie haben José am Hals gepackt und zugedrückt, bis er still war.«
    »Das ging ja nicht. Er hat ja weitergebrüllt wie verrückt. Da lag das Schuhbändel auf dem Bett, er zieht doch immer die Schuhbändel aus den Schuhen raus. Das Bändel hab ich genommen, ich hab zu ihm gesagt, wenn er nicht aufhört, rumzubrüllen, dann bind ich ihm den Hals zu. Das hat er lustig gefunden. Er hat gelacht, geweint hat er auch, aber auch gelacht. Ich hab das Schuhbändel um seinen Hals gebunden und zugezogen. Da war er still. Das ging schnell. Zugezogen, still. Das war eine schöne Stille, ich hab das richtig genossen ein paar Sekunden. Dann bin ich ins Bad. Still wars in der Wohnung, überall still. Ich trink jetzt doch mal einen Schluck.«
    Sie griff zum Becher, hielt ihn mit zittriger Hand, nippte daran und trank einen Schluck, seufzte und stellte den Becher wieder hin. Da fiel ihr auf, dass Fischer an ihr vorbei zur Tür schaute, und sie wandte den Kopf um.
    Über Valeries Gesicht liefen Tränen. Aufrecht wie immer saß sie da, mit gestrecktem Rücken, die Hände über der Tastatur. Ihre Tränen tropften auf die Marmorplatte. Valerieverzog keine Miene, ihre Lippen waren nur zwei schmale Striche.
    »Wieso weinen Sie denn so?«, sagte Eva-Maria Rinke. »Haben Sie sich wehgetan? Was ist denn passiert? Ich kann das gar nicht mit anschauen.«
     
    »Ich kann das gar nicht mit anschauen«, sagte Fischer. »Beinah hätte sie selber angefangen zu weinen. Wegen Valerie.

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