Touched
Von Nahem sah er atemberaubend aus, fast zu schön, um wahr zu sein, aber mich ließ sein Aussehen kalt. Bei seinem Anblick musste man die künstlerische Leistung seines Schöpfers bewundern, der so etwas Vollkommenes erschaffen konnte.
Wenn er lächelte, verstärkte sich die Illusion noch. Ich konnte nirgends einen Makel entdecken und das machte mich nervös. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund erinnerte er mich an einen Hai, der Blut gerochen hatte und sein Opfer umkreiste. Er konnte nur ein paar Jahre älter sein als ich, aber aus meiner Sicht fühlte es sich nach wesentlich mehr an. Dennoch hielt mich das nicht davon ab, Vollkommenheit in ihrer reinen Form zu bewundern.
Ich hörte ein Räuspern, und als ich mich wieder umdrehte, blickte mich Asher finster an. Bei jedem anderen hätte ich auf Eifersucht getippt, aber das machte ja überhaupt keinen Sinn. Und selbst wenn er Grund zur Eifersucht gehabt hätte, wäre das nicht angemessen gewesen. Sein Bruder war ein Kunstwerk und Asher konnte es mir nicht verübeln, wenn ich es betrachtete. Deshalb zuckte ich nur mit den Schultern.
Waldgrüne Augen verengten sich, und ich blinzelte. Wow! Ich schätze, er tat es doch!
Gabriel bekam den Austausch gar nicht mit. »Asher, stell mich doch bitte deiner Freundin vor!«
Als Asher schwieg, stellte ich mich selbst vor. »Remy O’Malley. Aber du kannst mich Knastköder nennen.«
»Hi, Remy O’Malley. Ich bin Gabriel. Asher hat gar nicht erwähnt, dass du Humor hast.«
Er sprach mit demselben korrekten Akzent wie sein Bruder, doch ohne die Sandpapierrauheit, die mir eine Gänsehaut verursachte. Als er sich lächelnd vorbeugte und eine Hand auf den Tisch, die andere auf meine Stuhllehne legte, hätte man das fast als Platzhirschgehabe auffassen können. Der Typ war zu eingebildet. Zu sicher, dass ich Wachs in seinen Händen wäre, wenn er sich denn dazu herabließe, von mir Notiz zu nehmen. Ich hatte Asher für arrogant gehalten, aber sein Bruder spielte ihn locker an die Wand.
Ich mochte Gabriel nicht, entschied ich.
Außerdem kam mir in den Sinn, dass der Rest der Familie seine Fähigkeiten vielleicht teilte. Bei dem Gedanken, Gabriels Energie könnte sich mit meiner vermischen, wurde mir schlecht, und ich erhöhte und verbreiterte meine Mauern um ein Vielfaches. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Ashers zufriedenes Lächeln.
Gabriel rückte mir weiter auf die Pelle, und ich rutschte mit meinem Stuhl zu Asher, bis Gabriel loslassen oder fallen musste. Ihm schien mein Ausweichmanöver gar nicht aufzufallen. Er stand über mir und vermittelte ganz deutlich den Eindruck, dass er mich anmachen wollte.
»Habe gehört, dein Dad hat dir ein neues Auto gekauft. Ich habe auch eins mit Gangschaltung und würde mich freuen, einem Mädel in Not zu Hilfe zu eilen.«
Wie redete der denn? Bislang hatten Charmeoffensiven wie diese wohl immer funktioniert, wenn man von der Schar seiner ständig wechselnden Gespielinnen ausging, mit denen er stets aufkreuzte. Und wieder dachte ich: Hai! Ich grinste Gabriel an und fletschte in meiner besten Imitation des Raubtiers meine Zähne. Sein Gesicht verdüsterte sich.
»Danke fürs Angebot, Gabriel, aber …«
»… aber Remy hat mich schon gefragt.« Asher warf seinem Bruder einen warnenden Blick zu.
Der zuckte die Achseln. »Fragen wird man ja wohl noch dürfen, Bruderherz.« Bevor er wegging, zwinkerte er mir zu und drohte mit tiefer Stimme: »Bis später, Remy.«
Ich sah ihm nach – er war ein bezaubernder Hai, wirklich –, bis Ashers Finger ein Loch in die Tischplatte zu bohren drohten. Ich drehte mich zu ihm um und merkte nun erst, wie eng wir beieinander saßen. Mein Gesicht war seinem ganz nahe und sein Atem strich über meine Wange. Ich rutschte mit meinem Stuhl zurück, sodass ich wieder denken konnte, ohne dass sein würziger Geruch mir den Kopf vernebelte. Ich fragte mich, worüber er sich so aufregte. Schließlich haben wir nichts miteinander.
Ashers Lächeln wurde grimmig. »Jetzt mach schon und zuck die Achseln, Remy!«
Eigentlich hatte ich genau das vorgehabt, aber nun ließ ich meine Schultern kreisen, als wolle ich meine verspannten Rückenmuskeln lockern.
»Na, und wann habe ich meine erste Stunde, Herr Lehrer?«, erkundigte ich mich.
Asher schien sich zu entspannen. Er blies Luft aus und verstrubbelte sich das Stirnhaar. Ich kämpfte gegen den Drang an, mit den Fingern hindurchzufahren. »Verzeih mir. Gabriel wollte mich reizen und das hat er auch
Weitere Kostenlose Bücher