Touched
den Pulli aus, den ich darunter trug. Ich drehte den Arm so, dass er unter meinem kurzärmeligen Shirt die hässliche Narbe hervorgucken sah. Sein Kiefer spannte sich an, und ich blickte beschämt weg.
»Er ist ein Ungeheuer. Was für ein Mensch tut einem Kind so was an?« Er fuhr mit unendlich sanften Fingern darüber.
»Dean wusste nicht, was ich konnte, aber er vermutete es«, antwortete ich mit ausdrucksloser Stimme. »Egal, wie schnell ich mich heilen konnte, er wollte mir zu verstehen geben, dass er mir immer wieder neue Schmerzen zufügen konnte, weil ich ihm gehörte und er mit mir tun und lassen konnte, was er wollte. Inzwischen erinnert mich die Narbe daran, dass ich allesüberlebe und niemandem gehöre außer mir selbst.« Ich wusste, ich klang trotzig, aber Ashers Mitleid hätte ich nicht ertragen.
Er begegnete meinem rebellischen Blick, während er mich an den Armen fasste. »Ich bemitleide dich nicht, Remy. Was dir Dean angetan hat… das hätte eine Menge Menschen gebrochen und sie so grausam werden lassen wie ihn, aber du bist stark. Du bist ein guter Mensch und daran könnte er nie rütteln. Schäm dich bitte nie dafür, dass du einen Dreckskerl wie ihn überlebt hast!«
Mein Blick war vor lauter Tränen schon ganz verschwommen und ich zwinkerte. Mein Kiefer schmerzte, weil ich ihn gegen das Weinen zusammengepresst hatte. Asher schien zu verstehen, dass ich Abstand brauchte, um mich wieder zu sammeln und ließ mich los. Ich nutzte die Zeit, um mir Pulli und Mantel wieder anzuziehen.
Ich konnte Asher nicht in die Augen schauen, als ich sagte: »Bis morgen?«
Er nickte, und ich stieg aus dem Auto. Ehe ich die Tür zuwarf, rief er meinen Namen. Ich war nicht auf seinen glühenden Blick gefasst.
»Du bist noch aus einem anderen Grund einzigartig.«
»Und der wäre?«
»Seit über einem Jahrhundert habe ich keine Berührung eines anderen Menschen mehr wahrgenommen. Ich spüre dich, Remy. Jede Berührung, jeden Blick. Ich spüre dich.«
Verblüfft trat ich zurück und machte die Beifahrertür zu. Der Wagen fuhr erst weg, als ich auf wackligen Beinen ins Haus taumelte und mit einem Lächeln die Haustür schloss.
16
Am nächsten Morgen wartete Asher auf dem Schulparkplatz auf mich, und ich näherte mich ihm wie eine Brieftaube ihrem Taubenschlag. Er richtete sich mit einem so süßen Lächeln auf, dass mir ganz warm wurde. Als er mir die Tasche abnahm, griff er nach meiner Hand, ließ mir jedoch genügend Zeit, mein Abwehrsystem zu verstärken, ehe er meine kleine behandschuhte Hand in seine größere schloss. Es gab eine Million Gründe, wieso wir das hätten bleiben lassen sollen, aber nicht einer zählte, als wir dort standen und uns anlächelten.
»Würde es deinen Freunden etwas ausmachen, wenn ich dich zum Unterricht begleite?«
»Wahrscheinlich.« Auf jeden Fall, wenn Lucy in der Sache etwas zu sagen gehabt hätte. Als ich ihr am Vorabend verkündet hatte, dass ich mit Asher zusammen sein wolle, hatte ich von ihr etwas zu hören bekommen. Auf der kurzen Fahrt zur Schule hatte sie mir prophezeit, er würde mir das Herz brechen, und mir versichert, sie wäre dann zur Stelle, um die Teile wieder aufzusammeln, denn das war es, was liebende Schwestern taten, wenn ihre idiotischen Geschwister einen riesigen Fehler machten.
In der Gewissheit, dass dasLoch, das in meinen Rücken gebohrt wurde – ich spürte es –, durch Lucys wütendes Funkeln entstand, zuckte ich die Schultern. »Lass es uns trotzdem machen.«
Asher zog die Stirn kraus, aber ich lenkte ihn ab, indem ich an seiner Hand zog. Er zog zurück, und ich wurde an seine Brust geworfen.
Er grinste mich an. »Ich bin stärker, schon vergessen?«, neckte er mich. »Ich Beschützer, du Heilerin.«
Ich lächelte ihn unschuldig an. »Sei froh, dass ich gerade Fäustlinge trage, sonst hätte ich dir das heimgezahlt!«
Als würde er bezweifeln, dass ich da die geringsten Chancen hätte, verzogen sich seine Lippen zu einem selbstgefälligen Grinsen.
Noch immer lächelnd, ließ ich vorsichtig meine Mauern herunter und erschuf ein ausführliches mentales Bild einer Videogame-Version von mir, wie ich mir auf bedrohliche Weise die kraftstrotzenden Armmuskeln anspannte.
Asher fing so laut zu lachen an, dass er Blicke auf sich zog, und ich stellte mir vor, was die anderen sahen. Wie mir musste ihnen aufgefallen sein, dass ihnen der beliebte Asher Blackwell aus dem Weg ging. Immer Herr der Lage, immer alles im Griff. Der Asher, der
Weitere Kostenlose Bücher