Townsend, S: Tagebücher des Adrian Mole: Die schweren Jahre
Pandora.
Im Ahorn gegenüber schrie eine Eule und erinnerte mich daran, dass ich nach Hause und ein bisschen schlafen musste, sonst wäre ich am nächsten Tag zu nichts zu gebrauchen. Ich verabschiedete mich von Pandora und fügte hinzu: »Ich werde dich immer lieben.«
Pandora schwieg lange, dann sagte sie: »Hab ich da gerade eine Eule gehört?«
Ich bejahte, und sie legte auf.
Montag, 10. September
Weder Daisy noch Gracie haben heute Morgen mit mir gesprochen. Es ist ein bisschen zu viel, wenn einem das eigene Kind die kalte Schulter zeigt.
Ich zeigte gerade einem jungen Mann mit schrecklichen Zähnen den Oxford Companion to English Literature von Margaret Drabble, als ich mich mitten im Gespräch entschuldigte und auf die Toilette ging. Mr. Carlton-Hayes übernahm den Kunden.
Nachdem der Mann mit den schrecklichen Zähnen gegangen war, sagte Mr. Carlton-Hayes: »Adrian, mein Lieber, mir ist nicht entgangen, dass Sie immer häufiger die Toilette aufsuchen. Sind Sie körperlich krank, mein Lieber, oder sind das nervlich bedingte Beschwerden?«
Ich spürte, wie ich rot wurde, doch eine Antwort blieb mir erspart, weil eine Frau in einem lachsfarbenen Kittel über olivgrüner Caprihose hereinkam und nach einem Exemplar des Kleidungsratgebers Was man nicht tragen sollte fragte.
Normalerweise haben Mr. Carlton-Hayes und ich den ganzen Tag eine Tasse Tee oder Kaffee in Reichweite, aber den Rest des Tages schränkte ich mich massiv ein. Trotzdem musste ich noch einige Male plötzlich nach hinten eilen. Als ich das letzte Mal aus der Toilette kam und mir die Hände wusch, trat Mr. Carlton-Hayes zu mir, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: »Adrian, bitte suchen Sie wegen Ihres Harnproblems einen Arzt auf. Haben Sie noch andere Symptome?«
Lieber wäre ich über Glasscherben gekrochen, als Mr. Carlton-Hayes von den gelegentlichen Schmerzen beim Wasserlas sen zu erzählen, aber ich willigte ein, zum Arzt zu gehen.
Um halb sechs rief ich Daisy an und sagte ihr, ich ginge in die Bereitschaftsdienstpraxis im Royal Hospital.
Sie antwortete: »Das wird auch Zeit.«
Die Bereitschaftsdienstpraxis hatte etwas von Dritter Welt. Der Wartebereich bestand aus einem schwach beleuchteten rechteckigen Raum, an dessen vier Wänden Patienten auf Plastikstühlen saßen. Manche bluteten, manche saßen nach vorn gebeugt, die meisten waren offensichtlich arm, und mindestens drei hatten die knolligen Nasen und ramponierten Gesichter alkoholkranker Obdachloser. Da saßen ängstliche junge Eltern mit weinenden Säuglingen, ein Kleinkind mit Nasenbluten und eine alte Frau mit trockenem Husten. Es war schon halb zehn, als ich an die Reihe kam. Der Arzt war ein junger Mann mit roten Haaren. Er gähnte mehrmals, während ich meine Symptome beschrieb. Dann fragte er: »Haben Sie denn keinen Hausarzt?«
Ich beschrieb ihm meine Probleme, einen Termin zu bekommen. Mit einer Kopfbewegung Richtung Wartezimmer sagte er: »Ja, deshalb haben wir ja auch 24 Stunden am Tag geöffnet. Fährt Ihr Hausarzt seit kurzem ein neues Auto?«
»Ja, das stimmt. Früher hatte er einen alten Volvo-Kombi, aber vor ein paar Monaten hat er ihn gegen einen neuen Mercedes-Geländewagen getauscht.«
Der Arzt, der laut Namensschildchen Tim Coogan hieß, lachte triumphierend und meinte: »Tja, die Allgemeinmediziner sind die neuen Reichen, diese verdammten Glückspilze arbeiten die Hälfte der Zeit für doppelt so viel Geld.« Er schien mich und meine Symptome völlig vergessen zu haben, deshalb fragte ich: »Ist denn mein häufiges Urinieren besorgniserregend?«
»Keine Ahnung«, gab er zurück. »Sehen wir uns die Sache mal an.« Er zog ein Paar blaue Handschuhe über und sagte: »Steigen Sie bitte auf den Behandlungstisch. Ziehen Sie Hose und Unterhose herunter und die Knie an die Brust an. Ich mache eine DRP.«
Ich bereute, eine in der Wäsche rosa verfärbte Boxershorts angezogen zu haben, während ich Dr. Coogan seinen Zeigefinger in ein Glas mit der Aufschrift »Gleitmittel« stecken sah.
»DRP?«, fragte ich nach.
»Digital-rektale Palpation.« Mit diesen Worten steckte er seinen Zeigefinger in mein Rektum und wühlte damit herum. »Sie haben mir die klassischen Anzeichen für Prostataprobleme genannt.«
»Nein, die Prostata ist es bestimmt nicht.« Ich versuchte zu lächeln. »Ich weiß, dass ich älter aussehe, als ich bin, aber ich bin erst neununddreißigeinhalb.«
Liebes Tagebuch, ein Mann, der sich in seiner Haut und seinem Körper wohler
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