Townsend, S: Tagebücher des Adrian Mole: Die schweren Jahre
stand er vor dem Haus, während ich mich duschte, anzog und mit Gracie und ihrer Uniform rang.
Auf dem Weg ins Krankenhaus sagte Dougie: »Ich setze Sie nur schnell ab und sehe zu, dass ich rechtzeitig zur Kyle-Show wieder zu Hause bin. Meine Frau hat ein paar Nachbarn eingeladen.«
Sally bemerkte meinen inneren Aufruhr, und ich erzählte ihr, dass meine Eltern, Schwester und der ehemalige Geliebte meiner Mutter heute Vormittag in der Jeremy Kyle Show zu Gast seien.
Ich hatte damit gerechnet, dass sie schockiert wäre, aber sie sagte: »Ich bewundere Ihre Mutter ja so.«
Gibt es heute überhaupt noch so etwas wie Privatsphäre? Es gab mal eine Zeit, in der die Menschen ihre Probleme für sich behielten.
Als ich auf der Liege lag und meine unteren Regionen bestrahlt bekam, wäre ich am liebsten für immer dortgeblieben. Meine ganze Energie schien aus mir herausgesickert zu sein. Sally musste mir hinterher von der Liege helfen. Sie brachte mich ins Wartezimmer und setzte mich auf einen Stuhl. Ausnahmsweise einmal wäre ich gern von meiner Mutter abgeholt worden. Nach einer halben Stunde ging es mir aber etwas besser, und ich machte mich auf den Weg zum Buchladen. Als ich an dem Elektrogeschäft auf der High Street vorbeilief, entdeckte ich meine Eltern auf einem riesigen Fernsehbildschirm. Meine Mutter sah extrem glamourös aus und mein Vater in seinem Rollstuhl absolut jämmerlich. Lucas und Rosie saßen nebeneinander und hielten sich an der Hand. Es gab eine Großaufnahme von meinem Vater, aus dessen linkem Auge eine einzelne Träne kullerte, in seinen Schnurrbart sickerte und verschwand.
Ohne mein Zutun steuerten meine Beine mich in den Laden und in die Fernsehabteilung. Ich war umgeben von Hunderten von Bildschirmen, und auf jedem lief die Jeremy Kyle Show . Ein Verkäufer gesellte sich zu mir; sein Namensschild wies ihn als Mohammed Anwar aus. »Alles in Ordnung bei Ihnen, Sir?«, murmelte er.
Ich log, ich hätte Interesse an einem 50-Zoll-Plasmafernseher, woraufhin er mich vor einen gigantischen Bildschirm führte. »Im ersten Jahr bezahlen Sie noch gar nichts …«
Ich unterbrach ihn. »Könnte ich die Tonqualität bitte hören?«
Mittels einer Fernbedienung stellte er lauter.
Rosie brüllte gerade: »Du hast mich all die Jahre angelogen, Mum.«
Und mein Vater dröhnte: »Genau, Pauline, und woher soll ich wissen, ob Adrian von mir ist?«
»Adrian ist Ihr Sohn, richtig, Pauline?«, erkundigte sich Jeremy Kyle.
Meine Mutter nickte.
»Ich will einen Gentest«, schrie mein Vater. »Ich muss wissen, ob Adrian von mir ist!«
»Pauline«, fragte Jeremy, »sind Sie sich ganz sicher, dass Adrian von George ist?«
Schniefend antwortete meine Mutter: »Ich bin mir zu siebzig Prozent sicher.«
»Siebzig Prozent«, sagte ich. »Mehr nicht?«
Der Verkäufer neben mir lachte. »Wo kriegen die nur immer diese Leute her?«
»Keine Ahnung«, sagte ich.
Dann versuchte er, mir den 50-Zoll-Plasmafernseher aufzuschwatzen. Ich log erneut und behauptete, ich würde darüber nachdenken.
Mit einem Seufzen sagte er: »Niemand kauft mehr was. Alle haben schon alles.« Für einen kurzen Moment wirkte er bestürzt. »Was wäre, wenn die Leute nichts mehr kaufen? Dann bin ich meinen Job los.«
Als ich meinen Weg zum Buchladen fortsetzte, versuchte ich, mich an ein Gespräch zu erinnern, das ich einmal mit meiner Mutter geführt hatte. Es ging um einen Maschinenbauer namens Ernie, den sie einmal sehr gern gemocht hatte. Sie schwelgte damals in Erinnerungen an die Liebesgedichte, die er ihr geschrieben hatte. Mit Ernie war sie liiert gewesen, als sie meinen Vater kennenlernte. War ich der Sohn des Maschinenbauers? Hatte ich von ihm meine literarische Begabung geerbt? Es stimmt, dass ich absolut nichts mit meinem Vater gemein habe. Seiner Ansicht nach schreiben nur Tunten und Weicheier Gedichte. Allerdings hab ich ihn recht gern. Es wäre doch ein Schlag zu erfahren, dass wir nicht blutsverwandt sind.
Mitternacht
Kann nicht viel schreiben. Ich bin verstört. Meine Mutter konnte nicht ausschließen, dass der Mann, den ich seit achtunddreißig Jahren Dad nenne, vielleicht nur ein Mann ist, den meine Mutter zufällig geheiratet hat. Sie hat mich aufgefordert, Ernie den Maschinenbauer zu kontaktieren und um eine Speichelprobe für einen Gentest zu bitten.
Samstag, 8. Dezember
Bestrahlung.
Bernard bestellte für einen jungen Mann mit bereits stark gelichtetem Haar ein in Amerika erschienenes Buch mit dem Titel Hoffnung
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