Townsend, S: Tagebücher des Adrian Mole: Die schweren Jahre
gelangen, verklemmte mein Vater seinen Rollstuhl in der Küchentür. Brett ließ die Plastiktüte von Harrods, die er in der Hand hielt, fallen und eilte zu meinem Vater. Er kniete sich neben den Rollstuhl und schlang die Arme um seinen Hals.
Nach einer Weile meinte mein Vater: »Du musst mich mal loslassen, mein Sohn. Ich kriege keine Luft.«
»Ich lasse dich nie wieder los, Dad«, schluchzte Brett. »Ich bleibe bei dir und widme den Rest meines Lebens deiner Pflege.«
Bei dieser Ankündigung machte meine Mutter eine besorgte Miene und sagte zu Daisy: »Aber ich pflege doch George.«
Es gelang mir schließlich, den Rollstuhl zu befreien und meinen Vater zurück in die Küche zu schieben. Brett trug einen seiner teuren Nadelstreifenanzüge, aber sein weißes Hemd war am Kragen schmutzig, und er war unrasiert. Er setzte sich an den Tisch, vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte.
Bernard trat hinter ihn und sagte: »Reiß dich zusammen, Junge. Ich bin auch am Ende der Fahnenstange angekommen, aber immerhin lasse ich mich nicht so hängen.«
Brett hob den Kopf. »Sie dämlicher alter Penner. Sie hatten ja ganz offensichtlich auch nichts zu verlieren. Ich hab drei Wohnungen, einen Lamborghini und einen beschissenen Hedgefonds verloren!«
Bernard goss sich einen gepflegten Wodka ein und setzte sich hin.
»Bernard ist ein Gast in meinem Haus, Brett«, sagte ich. »Entschuldige dich.«
Die kurze Stille wurde von Gracie unterbrochen. »Ich musste mich entschuldigen, weil ich gesagt habe, dass Mami dick ist.«
Doch mein Vater sagte: »In unserem Haus ist ein Bett für dich frei, solange du es brauchst, mein Sohn.«
Was mich extrem ärgerte. Eigentlich hatte ich vorgehabt, meine Eltern zu fragen, ob Bernard in ihrem Gästezimmer wohnen könne. Nun war es von meinem bankrotten Halbbruder belegt.
Daisy sagte: »Du kannst doch nicht alles verloren haben, Brett. Nicht innerhalb so kurzer Zeit.«
Brett (der sich immer noch nicht entschuldigt hatte) gab zurück: »Die Immobilien waren mit Hypotheken belastet, das Auto war geleast, und der Hedgefonds ist kollabiert. Die scheiß Banken wollten mir nichts geben. Eine Zeit lang habe ich von meinen Kreditkarten gelebt, aber die Arschlöcher haben mir den Hahn abgedreht.«
»Arschloch sagt man nicht«, bemerkte Gracie. »Wenn man schmutzige Worte sagt, fällt einem die Zunge ab.«
Alle Raucher zündeten sich Zigaretten an. Nur Gracie und ich nicht. Natürlich tat mir Brett ein bisschen leid, aber ganz tief drinnen freute ich mich auch ein klitzekleines bisschen über seinen Niedergang.
»Brett, du hast einen Einserabschluss aus Oxford. Du wirst sicher bald einen neuen Job finden«, sagte Daisy.
»Der Tankwart am Rastplatz hatte einen Abschluss in Astrophysik, also spar dir deine Plattitüden, Mrs. Mole«, versetzte Brett.
Wut überkam mich. »Wie kannst du es wagen, meine Frau der Plattheit zu bezichtigen!«
»Wisst ihr, was das Schlimmste an meinem Crash ist?«, fragte Brett.
Keiner von uns wusste es.
»Dass ich jetzt in den beschissenen East Midlands unter lauter Provinztölpeln mit verspießerten Empfindlichkeiten leben muss, die ihren Kindern beibringen, dass einem die Zunge abfällt, wenn man Arschloch sagt.«
»Ich bin nicht provinziell!«, rief meine Mutter. »Ich war letztes Jahr dreimal in London!«
»Gibt’s vielleicht noch was zu essen?«, fragte Brett matt.
Was eine ziemlich blöde Frage war. Jeder freie Fleck war mit Nahrungsmitteln vollgestellt.
Da sonst niemand Anstalten machte, ihm etwas auf den Teller zu tun, stand ich auf, schnitt ein paar Scheiben Truthahn ab und legte eine verschrumpelte Ofenkartoffel und einige Essiggurken dazu. Als ich nach der Salatschüssel grei fen wollte, sagte Brett: »Keinen Salat, ich esse nie Salat!«
Gracie sagte: »Man muss Salat essen. Sonst kommt man ins Gefängnis.«
Gott sei Dank nahmen meine Eltern Brett schon bald mit nach nebenan. Als sie weg waren, sagte Bernard: »Was für ein Pisser!«
Am Abend sahen wir uns Gracies DVD von The Sound of Music an. Leider war sie nicht davon abzubringen, bei den Liedern mitzutanzen und zu singen. Bernard war hingerissen, aber Daisy und ich haben ihre Vorführung schon viele Hundert Mal gesehen. Als wir ins Bett gingen, hatten wir eine Familiendose Quality Street halb aufgegessen.
Daisy ist im Bad und zieht sich ihren Pyjama an. Früher habe ich es geliebt, meiner Frau beim Ausziehen zuzusehen, und mindestens zweimal pro Woche stellte es das Vorspiel zum
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