Toxic: Der Biss - Das Feuer - Die Hölle Thriller (German Edition)
hörte es auf. Wir behielten beide das verstummte Telefon im Auge, und ich betete, dass Lil nicht auf meine Hand schaute. Die scharfe Spitze der Scherbe ragte noch etwa einen Zentimeter zwischen meinem Mittel- und Zeigefinger heraus, aber man musste schon genau hinschauen, um sie zu bemerken.
Sie warf einen letzten Blick auf das Handy, dann eilte sie zu der Schlangenkiste. Wieder hatte sie sich umgezogen. Statt des hauchdünnen, im Schritt offenen Bodys trug sie nun ihren Neopren-Schwimmanzug. In der Hand hielt sie einen grünen Apfel.
»Sie werden dich schnappen«, keuchte ich. »Du landest in der Gaskammer.«
»Nein, werden sie nicht«, meinte sie. »Du machst es höchstens noch ein paar Minuten. Du mühst dich schon ziemlich. Der ›Kampf gegen das Feuer‹, wie mein Daddy zu sagen pflegte. Du ringst mit dem Tod, nicht wahr, mein Liebster?«
»Ich bin nicht dein Liebster«, gab ich zurück und hörte, dass ich Silben verschluckte, aber ich zwang mich weiterzusprechen, damit sie die Hände von der Kiste ließ. »Das war nur Sex.«
»Aber der beste, den du je hattest, stimmt’s? Ich wette, irgendwo im Hinterkopf dachtest du, Janice sei deine Rettung. Hübsch, gescheit, unglaublich gut im Bett. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, oder? Du musst dir über andere Dinge Gedanken machen. Und ich auch.«
»Gehst du schwimmen?« Ich wies mit dem Kinn auf ihren Anzug.
Sie sah mich an, warf den Apfel in die Luft und fing ihn wieder auf. »Nachdem Judgment sein Urteil gesprochen hat, werde ich die Küste hinauffahren und irgendwo in Strandnähe zwischen La Jolla und Del Mar das Schiff mit Vollgas aufs offene Meer lenken. Dann springe ich ins Wasser und verschwinde für immer. Deine Yacht mit deiner Leiche finden sie dann frühestens in einer Woche.«
»Du kannst deiner Vergangenheit nicht entkommen, Lil«, sagte ich. »Sie beherrscht dich – daran ändert sich nichts, weder jetzt noch in Zukunft.«
»Da irrst du dich. Man kann sie mit ein paar Schwimmzügen hinter sich lassen. Das habe ich schon mal getan. Und ich tue es wieder.«
»Wirf deine Haut ruhig ab, aber in deiner Seele lebt sie weiter«, gab ich zurück. »Das konnte Carruthers bestätigen. Es hat ihn kaputtgemacht, dass er deinen Vater töten musste. Du wirst dich derselben selbst auferlegten Folter unterwerfen. Jedes Jahr Ende April werden dich die Schreckensszenen aus dem Schlafzimmer deiner Eltern heimsuchen, ganz gleich, was du anstellst, ob der Duft von Southern Nights dich nun aus dem Winterschlaf weckt oder nicht. Der Fluch, den dein Onkel Caleb über die Familie verhängt hat, lässt dich nicht mehr los. Wer dein Vater war. Wer deine Mutter war. Was aus dir geworden ist. Das alles kannst du nicht abschütteln.«
»Halt’s Maul«, zischte sie, trat zu mir und stopfte mir den Apfel in den Mund. Ich spuckte die Brocken wieder aus und zerrte an dem Seil, das mein rechtes Handgelenk hielt. Ich ahnte zwar, dass ich mich gerade jetzt lieber ruhig halten sollte, aber das Gift tobte in mir und ließ mein Herz rasen.
»Was ist los, Lil?«, fragte ich. »Spürst du etwas im Herzen? Vielleicht so wie früher, als du ein junges Mädchen warst? Du hast dich so für deine Eltern geschämt, dass du das Gerichtsgebäude abgefackelt hast. So geschämt für dein Blut, dass du abgehauen bist und dein Leben lang eine andere Identität erfunden hast?«
»Halt’s Maul!«, befahl sie. Dann hielt sie mir die Schlangenkiste hin. »Es reicht.«
Zum dritten Mal klingelte mein Telefon, immer wieder ertönte das Signal, insgesamt zehnmal.
Unterdessen zerrte ich so heftig an meiner Fessel, dass ich befürchtete, mir die Schulter auszukugeln. Aber ich quasselte ununterbrochen weiter: »Wie hast du dich damals genannt, bevor du von Hattiesburg weggegangen bist? Nicht Janice. Nicht Lil. Wie wär’s mit Abschaum? Eine Versündigung gegen Gott? So hat dich doch der alte Carruthers genannt? Wie hast du dich damals gefühlt? Wie ist es dir gegangen, wenn die Jungs dich verspottet haben, nachdem du mit ihnen geschlafen hattest?«
Lil zitterte vor maßloser Wut. »Du hältst jetzt dein Maul«, schrie sie. »Du bist derjenige, der sich hier seinen Sünden stellt!«
Sie holte Judgment aus der Kiste, und mir fiel jäh ein, dass alle vier vorherigen Opfer letztlich an dem dritten Biss gestorben waren, dem Biss in den Hals. Solomon hatte gesagt, dass Klapperschlangengift durch die Halsschlagader direkt ins Hirn dringt, worauf der Tod rasch eintritt.
Als Lil näher trat, fing
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