Toxic: Der Biss - Das Feuer - Die Hölle Thriller (German Edition)
Blutungen haben jetzt aufgehört, Shay. Er verliert zwar immer nochmal das Bewusstsein, aber Walter meint, er wird es schaffen. Das Serum hat schließlich doch die Oberhand behalten.«
Ich stand auf und reichte Walter die Hand. »Danke«, sagte ich. »Er bedeutet uns allen sehr viel.«
»Ich habe nur meinen Job gemacht«, antwortete Walter. »Er ist über den Berg, aber es wird noch ein paar Tage dauern, bis er wieder auf dem Damm ist.«
Um neun Uhr abends ließ uns Walter zu ihm. Kurz zuvor hatte man aufgehört, ihn künstlich zu beatmen. Rikko war grau im Gesicht, er wirkte völlig erschöpft, und seine Augen waren halb eingefallen. Ich musste an den halb ertrunkenen alten Mann denken, den ich vor etlichen Jahren einmal zu Gesicht bekommen hatte. Rikko las uns den Schreck über sein Aussehen wohl von den Gesichtern ab, denn er meinte: »Ihr seht ja aus wie drei Tage Regenwetter! Wisst ihr denn nicht, dass wir auf dieser Welt sind, um es uns gut gehen zu lassen – wie lang spielt keine Rolle?«
»So ist das?«, fragte ich lachend.
»Natürlich«, antwortete er. »Was ist mit Bigg Ja?«
»In Untersuchungshaft. Er ist für eine Weile aus dem Verkehr gezogen, aber unser Mörder ist er wahrscheinlich nicht.«
Ich wollte Rikko nicht aufregen, deshalb sagte ich nichts von meiner Suspendierung. Die anderen schickte ich einfach heim und blieb mit Christina an seinem Bett sitzen. Zorn und Rachegefühle waren einer müden Dankbarkeit gewichen, dass mir mein bester Freund erhalten geblieben war.
Tarentino versuchte es ohne Ende auf meinem Pager, aber ich reagierte nicht darauf. Gegen ein Uhr nachmittags schlief ich auf dem Stuhl neben Rikkos Bett ein. Zwei Stunden später weckte mich das Klingeln meines Handys. Verschlafen meldete ich mich: »Moynihan.«
»Du hast mich angelogen«, hörte ich Janice leise und zornig sagen.
»Janice, ich … «
»Halt den Mund.«
»Janice, hör mir zu.«
»Nein«, sagte sie. »Ich habe dir gesagt, ich verzeihe alles, bloß nicht, wenn du mich anlügst.«
»Ich habe dich nicht angelogen.«
»Das hast du sehr wohl!«, schrie sie. »Ich habe dich gefragt, ob ihr Nick im Verdacht habt, und du hast nein gesagt. Du hast mir nichts davon gesagt, dass er überwacht wird. Du hast mir nicht gesagt, dass ihr ihn für einen Mörder haltet! Heute Morgen komme ich in Chicago an, fünfundvierzig Minuten vor meinem Vortrag, weil mein Flug ausgefallen war, und da kriege ich einen Anruf von der Polizei, in dem man mir andeutet, ich hätte dich darauf gebracht!«
»Janice, ich habe ihnen deutlich gesagt, dass du nichts davon wusstest. Ich habe ihnen gesagt dass … «
»Du hast mich angelogen«, wiederholte Janice. »Und jetzt weiß ich nicht einmal, ob ich überhaupt noch einen Job habe, wenn ich nach San Diego zurückkomme. Mein Name wird in den Zeitungen und im Fernsehen durch den Kakao gezogen, man wird mich als rachsüchtiges Miststück hinstellen. Ach, hätte ich dich nie kennen gelernt, Moynihan.«
Und mit diesen Worten legte sie auf.
46
Gegen drei Uhr nachmittags verließ ich das Krankenhaus. In Christinas altem Volvo fuhr ich zu ihrem Haus nach Cardiff-by-the-Sea im Norden. Ich wollte mit meiner Mutter sprechen – mir war zumute wie einem kleinen Jungen, dem auf dem Spielplatz eine Kränkung widerfahren ist und der dringend Trost braucht. Die Tür war nur angelehnt, ich betrat den Bungalow, ohne zu klopfen. Das Spielzeug meiner Nichten lag überall auf dem Teppich verteilt. Ich hörte sie in der Küche schwatzen. Als das Fliegengitter knarrend zufiel, waren sie mit einem Mal still.
»Wer ist das?«, rief meine Mutter aufgeschreckt aus der Küche.
»Ich bin’s, Mutter.«
Es dauerte einen Moment, bevor sie antwortete: »Wer ist ›ich‹?« Dann trat sie ins Wohnzimmer. Sie trug eine Leinenhose und eine marineblaue Bluse. Sie musste erst vor kurzem beim Friseur gewesen sein. Auch mit ihren siebenundsechzig Jahren war sie noch eine schöne Frau.
»Dein Sohn.«
»Mein Sohn?«, sagte sie und blinzelte mich über den Esstisch hinweg an. Sie setzte ihre Lesebrille auf, um mich genauer in Augenschein zu nehmen. »Eine gewisse Ähnlichkeit ist nicht zu leugnen.«
»Ich bin dein Sohn, Mutter.«
»Tatsächlich? Mein Sohn hat schon so lange nicht mehr angerufen oder sich bei mir blicken lassen, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich ihn wiedererkenne.«
»Ich weiß ja nicht mal, ob ich mich selbst wiedererkennen würde, wenn ich in den Spiegel schaue«, antwortete ich und ließ
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