Toxin
die die Aufseher bei ihren Kontrollgängen gehen und unter sich das Zerteilen der Rinder beobachten konnten.
Kim suchte panisch nach irgendeiner Art Waffe, mit der er das lange Messer abwehren konnte. Da er die Lampe ausgeknipst hatte und nicht wagte, sie wieder einzuschalten, konnte er nur blind die Tische abgreifen. Doch zu seinem Unglück fand er nichts Geeignetes.
Im nächsten Augenblick stieß er gegen eine große, leere Plastikmülltonne, die polternd umkippte. Verzweifelt griff er nach der Tonne, damit sie nicht in der Gegend herumrollte und seine Position verriet. Er warf einen Blick zurück in Richtung Kopfknochenauslöseraum und sah in dem offenen Durchbruch die Silhouette des Mannes mit dem Messer. Für den Bruchteil einer Sekunde fiel ein schwacher Lichstrahl auf seinen Rücken, dann verschwand der Mann im Schatten. Kim zitterte vor Angst. Was sollte er gegen einen mit einem Messer bewaffneten Mann ausrichten, der offensichtlich ein Killer war? Wie sollte er sich in dem stockdunklen, ihm völlig fremden Raum verteidigen? Er mußte sich verstecken, etwas anderes blieb ihm gar nicht übrig. Der Mann durfte ihm auf keinen Fall näher kommen. Die erste Messerattacke hatte er wie durch ein Wunder überlebt, aber er wußte sehr wohl, daß er bei der nächsten Konfrontation wahrscheinlich den kürzeren ziehen würde.
Ein plötzlicher losschrillender Signalton ließ Kim vor Schreck zusammenfahren. Überall um ihn herum setzten sich die Förderbänder geräuschvoll in Bewegung. Gleichzeitig gingen unter der Decke grelle Neonröhren an. Kim spürte, wie seine Halsschlagader heftig zu pochen begann. Seine Chance, sich in dem Labyrinth aus Maschinen zu verstecken, war gerade zerplatzt.
Er quetschte sich hinter die Plastikmülltonne. Zwischen den Tischbeinen hindurchlinsend, sah er, wie der tätowierte Mann näher kam. Er bahnte sich langsam seinen Weg durch den hinteren Gang; in der rechten Hand hatte er das Messer, das aus Kims Blickwinkel etwa so groß war wie eine Machete. Kim geriet in Panik. Nur ein einziger Gang trennte ihn noch von dem Killer. Wenn der Mann den nächsten Gang inspizierte, war er geliefert. Es war nur noch eine Frage von Sekunden. Plötzlich wußte Kim, was er zu tun hatte. Die Plastiktonne mit beiden Händen umklammernd, sprang er blitzartig auf. Er brüllte wie ein sich in den Kampf stürzender keltischer Krieger und stürmte auf seinen Verfolger los. Die zum Schutzschild umfunktionierte Plastiktonne vor sich haltend, rannte er mit vollem Karacho in den messerschwingenden Mexikaner hinein.
Der Angriff war zwar völlig überraschend für Carlos gekommen, aber er war geistesgegenwärtig genug, das Messer nicht loszulassen.
Kim hatte Carlos glatt über den Haufen gerannt und befand sich nun etliche Meter hinter ihm. Er schleuderte die Tonne zur Seite und rannte durch den großen Knochenauslöseraum davon. Ihm war klar, daß er seinen Verfolger nur kurz außer Gefecht gesetzt hatte; in Null Komma nichts würde der Mann ihm wieder auf den Fersen sein. Wissend, daß ihm als Ausweg nur die Flucht blieb, passierte er eine zweite türlose Öffnung und landete in einem kalten, dunstigen und schlechtbeleuchteten Raum, in dem unzählige Rinderrümpfe von der Decke herabhingen. Die halbierten Tiere waren an Haken befestigt, die in einem Deckenrollsystem verankert waren. Die einzige Lichtquelle waren ein paar in großem Abstand angebrachte Deckenlampen über dem Hauptgang, der die langen Reihen der gekühlten Tierhälften trennte.
Kim rannte den Hauptgang entlang und sah sich verzweifelt nach einem Versteck um. In dem Kühlraum herrschten so niedrige Temperaturen, daß er seinen Atem sehen konnte. Er war noch nicht weit gelaufen, als er auf einen Quergang stieß, an dessen Ende er das willkommene grüne Glimmern eines Ausgangshinweises entdeckte. Doch an der Tür angelangt, mußte er zu seinem Entsetzen feststellen, daß sie mit einer Kette und einem schweren Vorhängeschloß verriegelt war. Im nächsten Augenblick hörte er das entfernte, aber unverkennbare Geräusch, das die Absätze seines Verfolgers auf dem Betonfußboden verursachten. Der Mann kam näher. Kim geriet erneut in Panik. Auf der Suche nach einem anderen Ausgang lief er, so schnell er konnte, zwischen den Tierhälften durch die engen Gänge des Kühlraumes. Doch als er endlich einen zweiten Ausgang fand, hatte er wieder Pech: Er war ebenfalls mit einer Kette verriegelt.
Entmutigt setzte Kim seine Flucht fort. Der Raum war riesig. Er
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