Toxin
keinen Fall«, erwiderte Kim. »Ich lasse mich nicht ins Gefängnis stecken, bevor das alles geklärt ist. Nun komm doch endlich! Wir müssen weg sein, bevor hier irgend jemand aufkreuzt!«
Tracy hatte ihre Zweifel, ob es klug war, vom Tatort zu fliehen, aber Kim war davon überzeugt, daß sie verschwinden mußten. Also ließ sie sich von ihm aus der Herrentoilette führen. Er inspizierte den Flur in beide Richtungen und konnte es kaum glauben, daß die Schüsse offenbar keinen seiner Kollegen neugierig gemacht hatten.
»Wie bist du reingekommen?« flüsterte Kim.
»Durch das Fenster des Aktenarchivs«, erwiderte Tracy. »Das Fenster, das du auch schon mal eingeschlagen hast.«
»Gut.« Kim nahm Tracy bei der Hand. Dann rannten sie zusammen ins Archiv. Als sie gerade durch die Tür waren, hörten sie näher kommende Stimmen.
Kim bedeutete Tracy, mucksmäuschenstill zu sein, während er leise die Tür schloß und den Schlüssel umdrehte. In der Dunkelheit steuerten sie den Tisch an, auf dem die belastenden Dokumente lagen. Kim schnappte sie sich, und sie schlichen weiter zum Fenster. Durch die Wand bekamen sie mit, daß sich in der Herrentoilette etwas tat. Zuerst waren Stimmen zu hören, dann rannte jemand den Flur entlang.
Kim kletterte als erster nach draußen. Dann half er Tracy. Ein paar Sekunden später rannten sie zu Tracys Auto. »Laß mich fahren!« rief Kim und sprang hinters Steuer. Tracy setzte sich auf die Rückbank. Er ließ den Motor an und verließ zügig den Parkplatz.
Für eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort. »Wer hätte gedacht, daß alles so ausgehen würde?« brachte Tracy schließlich hervor. »Was sollen wir denn jetzt tun?«
»Vielleicht war deine Idee vorhin gar nicht so schlecht«, gestand Kim. »Ich meine, vielleicht hätten wir die Polizei rufen sollen. Aber es ist ja noch nicht zu spät. Wir können uns immer noch stellen. Allerdings glaube ich, wir sollten zuerst mit Justin Devereau reden.«
»Ich habe meine Meinung geändert«, sagte Tracy. »Ich glaube, du hast spontan richtig reagiert. Sie würden dich mit Sicherheit ins Gefängnis stecken und mich wahrscheinlich auch. Vermutlich würde bis zur Verhandlung ein ganzes Jahr verstreichen. Und wer weiß, was dann mit uns passieren würde? Nach dem O.J.-Simpson-Prozeß ist mein Vertrauen in das amerikanische Gerichtswesen auf den Nullpunkt gesunken. Wir haben keine Million Dollar, die wir Staranwälten wie Johnny Cochrane oder Barry Scheck in den Rachen werfen können.«
»Was willst du damit sagen?« fragte Kim und warf einen schnellen Blick in den Rückspiegel. Tracy vermochte ihn immer wieder zu überraschen.
»Erinnerst du dich, worüber wir gestern abend gesprochen haben?« fragte Tracy zurück. »Laß uns ins Ausland gehen und das Chaos von dort regeln. Gehen wir irgendwohin, wo die Lebensmittel sauber sind, damit wir unseren Kampf gegen die Fleischverseuchung fortsetzen können!«
»Meinst du das im Ernst?« fragte Kim.
»Ja«, erwiderte Tracy. Kim schüttelte den Kopf. Sie hatten zwar über diese Möglichkeit gesprochen und hatten auch ihre Pässe dabei, aber ernsthaft hatte er das nie in Erwägung gezogen. Er war davon ausgegangen, daß eine Flucht ins Ausland nur dann in Frage kam, wenn ihnen absolut nichts anderes mehr übrigblieb.
»Wir sollten aber trotzdem Justin anrufen«, sagte Tracy. »Er hat bestimmt ein paar gute Tips für uns. Hat er ja immer. Vielleicht weiß er auch, wohin wir uns am besten absetzen sollten. Wir müssen ja auch ein paar rechtliche Aspekte berücksichtigen - von wegen Auslieferung und so weiter.«
»Weißt du, was mir an der Idee, ins Ausland zu gehen, am besten gefällt?« fragte Kim, nachdem sie ein paar Minuten geschwiegen hatten. Er sah in den Rückspiegel, um mit Tracy Augenkontakt zu haben.
»Was denn?« wollte sie wissen.
»Daß du davon ausgehst, daß wir zusammen gehen«, erwiderte Kim.
»Natürlich gehen wir zusammen«, sagte Tracy. »Vielleicht hätten wir uns gar nicht scheiden lassen sollen«, gab Kim zu bedenken.
»Das ist mir auch schon mal durch den Kopf gegangen«, gestand Tracy.
»Vielleicht kommt bei dem ganzen Desaster ja doch noch etwas Positives heraus«, grübelte Kim.
»Stell dir vor, wir würden noch einmal heiraten«, sinnierte Tracy. »Natürlich könnten wir niemals unsere Becky ersetzen - aber es wäre doch schön, wenn wir noch ein Kind bekommen würden.«
»Könntest du dir das wirklich vorstellen?« fragte Kim.
»Warum nicht?« entgegnete
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