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Toxin

Toxin

Titel: Toxin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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und aus ihrem Herzbeutel. Das Toxin hatte sich erbarmungslos ausgebreitet. Es sah so aus, als ob es seine Tochter von innen aufgefressen hätte.
    Die Tür zur Intensivstation wurde aufgerissen. Zwei uniformierte Männer des Krankenhaussicherheitsdienstes stürmten ins Zimmer. Die Oberschwester hatte sie alarmiert, als Kim das Epinephrin verlangt hatte und das Chaos ausgebrochen war. Als die Männer registrierten, was hier vor sich ging, blieben sie wie angewurzelt stehen. Becky wurde immer noch über den Respirator beatmet; ihre rosafarbenen Lungen füllten sich immer wieder und ließen den geöffneten Brustraum auseinanderklaffen. Kim stand neben ihrem Bett, die Hände voller Blut, die Augen vor Kummer und Entsetzen weit aufgerissen. Dann legte er das krankhafte Gewebe vorsichtig zurück in Beckys Brustkorb. Als er diese letzte nutzlose Geste ausgeführt hatte, legte er seinen Kopf zurück und brach in qualvolles Wehklagen aus. Noch nie zuvor hatte jemand auf der Intensivstation so entsetzliche Klagelaute gehört.
    Tracy war wieder soweit zu sich gekommen, daß sie einen Schritt nach vorn gehen konnte. Kims furchtbarer Schrei hatte sie bis ins Mark getroffen. Sie wollte ihn trösten und gleichzeitig selber getröstet werden.
    Doch Kim nahm nichts und niemanden mehr wahr. Er bahnte sich seinen Weg nach draußen und verließ fluchtartig die Intensivstation. Bevor jemand reagieren konnte, war er weg. Wie ein Irrer raste er den Flur entlang. Wer ihn rechtzeitig sah, sprang aus dem Weg. Ein Pfleger war nicht schnell genug. Kim rannte den Mann mitsamt seinem mit Wasserflaschen gefüllten Handwagen über den Haufen.
    Draußen stürmte er zu seinem Auto und startete den Motor. Er schoß mit quietschenden Reifen davon. Wie wahnsinnig fuhr er in Richtung Prairie Highway. Zum Glück kam ihm kein Polizeiwagen in die Quere. Als er auf den Onion-Ring-Parkplatz bog, donnerte er genau wie bei seinem letzten Besuch mit einem heftigen Krachen über den Randstein. Schließlich kam er mit quietschenden Reifen vor dem gutbesuchten Restaurant zum Stehen. Er zog die Handbremse und wollte schon aus dem Auto springen, als er plötzlich zögerte. Ein Hauch seines sonst immer einwandfrei funktionierenden, klaren Verstands kehrte in sein gefühlsmäßig völlig durchgedrehtes Hirn zurück. Die samstagnachmittägliche Schar von Gästen, die sich an ihren Hamburgern, Milchshakes und Pommes erfreute und nichts von seinem Unglück ahnte, brachte ihn mit einem Mal jäh zurück auf den Boden der Tatsachen. Er war zum Onion Ring gejagt, um sich irgend jemanden zu greifen, dem er die Schuld geben konnte. Doch er stieg nicht aus.
    Statt dessen hob er seine rechte Hand und starrte sie an. Als er das dunkle, getrocknete Blut seiner Tochter sah, begann er die schreckliche Realität allmählich zu erfassen: Becky war tot. Und er hatte nichts tun können, um ihr Leben zu retten. Er warf sich hilflos über das Lenkrad und schluchzte hemmungslos.
     
    Tracy schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Sie konnte einfach nicht glauben, was passiert war. Marsha klopfte ihr beruhigend auf die Schulter. Daß sie von einer Fremden getröstet wurde, machte die Sache nicht gerade leichter. Sie hatte völlig anders reagiert als Kim. Anstatt blindwütig davonzustürmen, war sie wie gelähmt stehengeblieben. Sie hatte nicht einmal weinen können.
    Nach Kims überstürztem Abgang hatten Dr. Stevens und Dr. Morgan sie in den Warteraum der Intensivstation begleitet. Marsha war ihnen gefolgt, doch das hatte sie in dem Moment gar nicht wahrgenommen. Die beiden Ärztinnen waren eine Weile bei ihr geblieben, hatten ihr ihr Mitgefühl ausgedrückt und ihr erklärt, was passiert war. Sie hatten ihre Fragen bis ins Detail beantwortet; sie hatten ihr erklärt, wie das von den Kolibakterien gebildete Toxin offenbar Beckys Herzmuskel und das Perikardium, die Umhüllung des Herzens, zerstört hatte. Dr. Stevens hatte angeboten, ihr ein Taxi zu bestellen, doch sie hatte dankend abgelehnt und erklärt, sie sei mit dem Auto da und könne allein nach Hause fahren. Erst als die beiden Ärztinnen gegangen waren, hatte sie registriert, daß Marsha noch da war, und die beiden hatten sich lange unterhalten.
    »Danke, daß Sie die ganze Zeit bei mir geblieben sind«, sagte Tracy.
    »Sie haben mir sehr geholfen. Ich hoffe, die vielen Geschichten über Becky haben Sie nicht gelangweilt.«
    »Ganz im Gegenteil«, entgegnete Marsha. »Becky muß ein wunderbares Kind gewesen

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