Tränen aus Feenstaub
hinaus. Sie kannte sich nach all den Aufenthalten hier im Krankenhaus gut genug aus, um den Weg wiederzufinden, den sie am Vorabend mit Anita genommen hatte. Es war längst keine Besucherzeit mehr, aber als Patient im Morgenmantel fiel sie nicht weiter auf. Darum gelang es Pina, ungehindert auf die Intensivstation zu gelangen, sich die entsprechende Kleidung überzuziehen und Finns Zimmer zu betreten. Hier blieb sie an der Türe stehen.
Was sollte sie tun? Konnte sie sich ihm nähern? Oder gab es zwischen dem Finn hier und dem Finn auf dem Schiff eine Verbindung, die die Ablehnung ihr gegenüber weitergeben würde?
Pina wusste es nicht. Sie hatte keine Ahnung, wie viel jemand von seiner Umwelt noch wahrnahm, der im Koma lag. Aber falls er sie überhaupt bemerkte, sollte sie nicht nur wie ein verschrecktes Kaninchen an der Türe stehen bleiben. Sie musste wenigstens versuchen, diesem Teil des Bikers zu erklären, wie alles gekommen war. Und sie musste sich entschuldigen. Dafür, wie rüde sie ihm seinen Zustand in ihrer Traumwelt mitgeteilt hatte.
Pina ordnete ihre Gedanken und versuchte genügend Mut zu fassen, um zu beginnen. Schließlich glaubte sie, so weit zu sein und trat näher an Finns Bett heran.
„Ich weiß, es ist vielleicht nicht gerade die richtige Zeit, so spät abends. Aber wenn ich noch länger warte, bringe ich vielleicht den Mut nicht mehr auf“, begann Pina. Sie zog sich einen Hocker, der an der Zimmerwand stand näher und setzte sich vorsichtig.
„Du willst mich sicher gar nicht sehen nach letzter Nacht. Aber ich finde keine Ruhe, bevor ich mich nicht bei dir entschuldigt habe.“
Es war schwerer als gedacht, die richtigen Worte zu finden. Selbst dann, wenn man wusste, sein Gesprächspartner konnte einem nicht unterbrechen.
„Es tut mir leid, Finn. Ich wollte es dir nicht so sagen. Eigentlich wollte ich es dir überhaupt nicht sagen. Auch wenn ich weiß, dass das verkehrt gewesen wäre.“
Draußen vor der Glaswand zu Finns Zimmer stand jetzt eine Intensivschwester. Sie wollte eben die Türe öffnen und die unangemeldete Besucherin bitten zu gehen. Aber es drang genügend von dem einseitigen Gespräch durch die Tür, um dem Mädchen mehr Zeit zu gewähren.
Pina bemerkte nicht, dass ihre Anwesenheit entdeckt worden war. Zum einen saß sie mit dem Rücken zur Glaswand, zum anderen war sie so auf das konzentriert, was sie sagen wollte, dass sie für andere Dinge nicht aufnahmefähig war.
„Ich habe schon so viel Zeit in diesem Krankenhaus verbracht und sollte eigentlich wissen wie es ist, wenn man über seinen Zustand völlig im Dunklen gelassen wird.“
An dieser Stelle versuchte Pina all ihren Mut zusammenzunehmen, um Finn das zu sagen, was sie noch nie laut ausgesprochen hatte.
„Weißt du, Finn, ich werde sterben. Nicht heute oder morgen, aber schon sehr bald. Ich habe Leukämie!“
Mehr von der Unterhaltung hörte sich die Krankenschwester draußen vor der Türe nicht mehr an. Denn für dieses sehr private Gespräch wollte sie dem jungen Mädchen die nötige Zeit geben. Also drehte sie sich um und entfernte sich von der Tür des Komapatienten.
„Ich kann dir nicht sagen, wie oder warum du ein Teil meiner Welt geworden bist. Aber ich kann dir sagen, wie diese Geschichte für mich begann.“
Irgendwie wurde es mit jedem Wort leichter, ihm die Dinge mitzuteilen, die sie bisher für sich behalten hatte.
„Diese Meer-und-Strand-Geschichte entstand bei den ersten schmerzhaften Untersuchungen. Damals meinte ein Arzt, ich solle an etwas Schönes denken. Und ich dachte an Sommer, Sonne, Sand und Meer. Und da es viele Untersuchungen und Behandlungen gab, dachte ich sehr oft an diese Dinge. Irgendwann wurde es zu meinem Zufluchtsort, wenn mich all dies hier traurig machte.“
Pina blickte sich in dem Krankenzimmer um. Aber eigentlich meinte sie nicht speziell dieses Zimmer, sondern das Krankenhaus und ihre Krankheit im Allgemeinen.
„Ich hatte diese Traumwelt, diesen Zufluchtsort immer für mich alleine. Bis du plötzlich vor mir standest, Finn. Ich kann mir nur vorstellen, dass du in deinem jetzigen Zustand auch einen Ort brauchtest, an den du dich zurückziehen konntest.“
Endlich wagte es Pina, sich ein wenig zu entspannen. Sie sackte auf dem Hocker zusammen und fasste vorsichtig nach Finns Hand, die unbeweglich auf dem Bett lag. Es sollte eine Geste des Trosts sein. Ob sie jedoch Finn oder sich selbst damit trösten wollte, war nicht einmal Pina selbst klar.
„Ich bin
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