Tränen aus Gold
Hand am Kragen festhielt und sie kräftig beutelte. Plötzlich wurden ihr Kittel und das Hemd darunter am Rücken aufgerissen, und im nächsten Augenblick erscholl ein lauter, eindeutig weiblicher Schreckensschrei. Schlagartig trat Stille ein, und alles starrte verwundert zu ihr hin. Elise versuchte krampfhaft, die rutschenden Kleidungsstücke oben zu halten, doch ihre glatten weißen Schultern schienen das spärlich vorhandene Licht geradezu magnetisch auf sich zu ziehen. Plötzlich starrte Elise in die blaßblauen Augen Nikolaus von Reijns, die sich vor Staunen weiteten, als er langsam die Situation erfasste. Das von der knappen Lederkappe eingerahmte Gesicht war ihm nur allzu vertraut, doch was machte sie hier und in dieser Aufmachung? Wie versteinert stand Nikolaus da und kämpfte mit sich. Was sollte er tun?
Wieder faßte der stämmige Mann nach ihrem Arm und drehte Elise um. Mit der freien Hand riß er ihr die Lederkappe vom Kopf und löste damit ihre brünette Haarflut, die ihr nun ungehindert auf die Schultern fiel. Er schnappte nach Luft, ehe es mit ohrenbetäubender Lautstärke aus ihm hervorbrach: »Was haben wir da? Ein junges Mädchen?«
Hillert schnellte mit einem Satz hoch und stützte sich auf seinen baumstammartigen Armen über den Tisch vor. »Ein Mädchen?« Er lief puterrot an, als sein Blick das schlanke Mädchen erfasste. Mit ausgestrecktem Zeigefinger brüllte er: »Ergreift sie!«
Erbost über ihr freches Eindringen, gingen die Männer auf sie los, und Elise sah mit Entsetzen voraus, daß sie nicht davor zurückschrecken würden, sie zu töten. Sie biss die Zähne zusammen und stellte sich der Meute entgegen, entschlossen, sich nicht kampflos zu ergeben. Dem Mann, der sie festhielt, versetzte sie einen Fußtritt in den Leib und kam frei, als er vor Schmerz vornüber zusammenklappte. Dann holte sie aus und hieb einem anderen Mann in die Kehle, duckte sich und versuchte, den von allen Seiten zugreifenden Händen zu entgehen. Stück für Stück wurden ihr Hemd und Kittel vom Leib gerissen, bis nur mehr ein paar Fetzen über der Bandage hingen, mit der sie ihre Brust flachgebunden hatte. Justin wollte ihr von der anderen Seite her zu Hilfe kommen – vergeblich, angesichts des dichten Getümmels. Es fehlte nicht viel, und Elise wäre in Tränen ausgebrochen, als sich Finger in ihre nackte Schulter gruben und ein aufgedunsenes, fleckiges Gesicht sich so nahe an sie herandrängte, daß es ihr Blickfeld ausfüllte. Doch wie von Zauberhand blitzte plötzlich eine Klinge auf, und auf der Wange des Mannes erschien ein blutroter Strich. Wieder blitzte die Klinge und bohrte sich bedrohlich in die Kehle des schreienden Mannes, dessen Blick angstvoll die Länge des Stahls und dann einen dunkelumhüllten Arm entlangglitt, bis er auf das Antlitz des hochgewachsenen Ostländers traf. Der Aufschrei blieb Elise im Halse stecken, als sie die grünen, blitzenden Augen erkannte, die ihren Bedränger zu durchbohren schienen. Es war Maxim! »Wenn du deine Freunde heute nicht zu deinem Begräbnis einladen willst, solltest du die Dame so schnell wie möglich loslassen, mein Freund!« herrschte er ihn an.
Erschrocken gab er Elise frei. Sofort nahm sie Deckung hinter Maxim, dessen zwei Begleiter sich schützend um sie scharten und in Kampfstellung gingen.
Wie eine Woge drängten die Hanseherren heran. Metall klirrte auf Metall, und die Ostländer stachen und hieben und hielten die Masse der Vordrängenden in Schach.
Nikolaus, der dem Getümmel zunächst tatenlos zugesehen hatte, verwünschte sich, weil er gezögert hatte, Elise zu retten. Jetzt wollte er verhindern, daß Elise in die Hände der Hanseleute oder der Ostländer fiel. Er bahnte sich einen Weg durch die Masse der Leiber, stieß jeden beiseite, der ihm im Weg war. Die Leute fielen unter seinem zupackenden Griff um wie die Kegel. Einem letzten nahm er die Waffe ab und hob den Degen, um den großen Ostländer anzufallen. Verdutzt hielt er inne, als er in die flammenden grünen Augen blickte.
»Maxim!«
»Nun, Nikolaus, auch du willst meinen Tod?« keuchte Maxim atemlos.
»Ach, verdammt!« grollte Nikolaus enttäuscht. Ihm dämmerte, daß er im Spiel der Herzen gegen einen würdigeren Gegner verloren hatte. »Schaff sie hinaus!« brüllte er und schwang sein Schwert.
Maxim begegnete dem vorgetäuschten Stoß mit der eigenen Klinge und schlug Nikolaus die Waffe aus der Hand. Als diese klirrend zu Boden fiel, trat eine mächtige Gestalt vor. Alle wichen
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