Tränen aus Gold
blätterte, über ihre Schulter gebeugt, die Pergamentbögen durch. Neugierig nahm er ihr die Dokumente ab, um sie sorgfältiger zu studieren, wobei ihm sofort auffiel, daß jeder Bogen sich auf einen speziellen Besitzteil der Radbornes bezog. »Elise, hast du eine Ahnung, was das ist?«
»Ich habe diese Schriftstücke noch nie in meinem Leben gesehen. Was soll das sein?«
Er ließ die Blätter auf ihren Schoß fallen, ehe er sich neben sie auf die Bank setzte. »Nun, meine Liebste, diese Dokumente berechtigen dich, den gesamten Besitz deines Vaters zu erben.«
»Cassandra und ihre Söhne haben auf der Suche nach dem Testament alles auf den Kopf gestellt«, entgegnete Elise fassungslos.
»Haben sie auch das Haus durchsucht, wo das Bild deiner Mutter war?«
»Von diesem kleinen Landhaus wissen sie gar nichts. Mein Vater wollte es so.«
»Deshalb hat er die Schriftstücke dort versteckt. Vermutlich hielt er dieses Versteck für das sicherste.«
»Aber warum gab er mir keinen Hinweis?«
»Bist du sicher, daß er dir keinen gab?«
Elise blickte ihn nachdenklich an. Ihr war eingefallen, daß ihr Vater sie gedrängt hatte, nach seinem Tod das Haus aufzusuchen und das Bild zu holen. »Vielleicht gab er mir einen Wink, ohne daß ich es merkte. Bist du sicher, daß es wichtige Dokumente sind?«
»Ja, ganz sicher. Ob dein Vater noch am Leben ist, weiß ich nicht, aber diese Dokumente machen dich zweifellos zur Alleinerbin. Sie sind von der Königin persönlich unterzeichnet und geben Ramsey Radbornes Gesuch statt, dich als Erbin einzusetzen, für den Fall, daß ihm in Ausführung seiner Pflichten etwas zustößt. Sicher hatte Walsingham dabei seine Hand im Spiel, da dein Vater direkt für ihn tätig war.«
»Es ist also wahr«, stellte Elise benommen fest, erstaunt über die Art und Weise, wie ihr Vater die Dokumente gesichert hatte. Er war vor Cassandra mehr auf der Hut gewesen, als sie geahnt hatte.
»Hier, sieh an«, sagte Maxim und deutete mit dem Finger auf eines der Pergamentblätter. »Hier steht, daß dein Vater zur Zeit seines Verschwindens noch im Besitz aller seiner Güter war: ein Haus in Bath, ein Palais in London, dazu die Ländereien, auf denen er das Haus baute, in dem er das Bild verbarg.«
»Aber was verkaufte dann mein Vater in den Stilliards? Es hieß, er habe Truhen voller Gold hingeschafft. Das behauptete auch Edward.«
»Ich wäre da nicht so sicher, meine Liebe. Walsingham wußte, was dein Vater vorhatte. Und jetzt ist klar, daß dein Vater dich versorgt wissen wollte. Er hat dies durchgesetzt, indem er das Einverständnis der Königin einholte.« Er legte seine Hand auf ihren Bauch. »Ich würde für meine Tochter nicht weniger tun.«
Elise drückte ihre Wange an seinen Arm. »Maxim, mein Leben ist dreifach gesegnet«, sagte sie nachdenklich. »Der erste Segen war mein Vater, jetzt ist Anne gekommen, am teuersten aber ist mir mein Mann. Wenn die Zukunft noch mehr solcher Freuden für mich bereithält, will ich gern jedem Tag entgegensehen, der noch kommen mag.«
***
Am Freitag darauf erreichte Maxim die königliche Aufforderung, bei Hofe zu erscheinen. Eine der Hofdamen war am Fuße einer langen Treppe tot aufgefunden worden. Unfallzeugen gab es keine, dafür aber Druckstellen an der Kehle. Weinende Zofen hatten preisgegeben, daß ihre Herrin, die dreiundvierzig Jahre alt war, sich in den vergangenen Monaten wiederholt heimlich mit einem Liebhaber getroffen hatte.
Außerdem wurde Maxim berichtet, daß im Kerker zu Newgate Hillert einem Anschlag zum Opfer gefallen war. Man hatte ihn in den frühen Morgenstunden mit durchschnittener Kehle aufgefunden. Niemand wußte, wer der Täter war, da alle Häftlinge zusammen in einer Zelle saßen und ihre Unschuld beteuerten. Darunter waren einige, die über Geld verfügten und die Wachen bestechen konnten. Es wurde gemunkelt, daß ein reicher Anwalt, dessen Namen niemand zu nennen wußte, einen Dieb im Kerker besucht hatte, um ihm von der Erbschaft eines reichen Onkels Mitteilung zu machen. Es hieß, die hinterlassene Summe sei kurz nach Hillerts Ermordung ausbezahlt worden.
Elise blieb in Bradbury zurück, da sie glaubte, Maxim werde in Kürze wieder daheim sein. Anne war ihr in seiner Abwesenheit ein echter Trost, denn zwischen den beiden Frauen war über familiäre Bindungen hinaus eine herzliche Freundschaft entstanden.
Nikolaus, Kenneth und die zwei anderen Gästen brachen drei Tage nach Maxim auf. Sie verließen Bradbury Hall mit
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