Tränen aus Gold
Bewußtlosen.
Maxim holte aus seiner Tasche eine Bleikugel, die er über den Zellenboden rollen ließ. Sie rollte bis zu der Liegestatt hin, über deren Rand eine brünette Haarflut fiel. Elise fuhr ruckartig auf. Sie war mit einem Schlag hellwach, als sie die geliebte und vertraute Gestalt jenseits der Gitterstäbe stehen sah. Gerade noch verhinderte Maxim ihren Freudenschrei, indem er ihr mit einem Finger auf dem Mund und einem Kopfschütteln Schweigen gebot. Elise weckte nun den Mann neben sich. Langsam hob er den bärtigen Kopf, und nun legte sie ihrem Vater den Finger auf den Mund, um seine Fragen zu ersticken. Wortlos deutete sie auf Maxim. Ramsey Radbornes Blick flog nun zu dem stattlichen Mann, und ein Lächeln, das erste seit Monaten, erhellte seine Miene.
Maxim klopfte leicht auf das Schloß: Wo ist der Schlüssel? Elise formte lautlos den Namen »Quentin« mit den Lippen. Sie machte eine Bewegung, als ließe sie den Schlüssel in ein Wams gleiten, dann kam sie ganz nah an die Stäbe heran und faßte durch die Stäbe hindurch nach der Hand ihres Mannes. Sie strebten einander zu, und nicht einmal die Gitterstäbe konnten verhindern, daß ihre Lippen sich kurz fanden. Als sie voneinander ließen, wischte Maxim ihr mit dem Daumen lächelnd einen Schmutzfleck von der Wange. Er deutete mit dem Kopf auf die dritte Gestalt, die allein auf der zweiten Bettstatt lag, und Elise hauchte den Namen »Arabella«.
Nikolaus schritt die Reihe der Gitterstäbe ab und beklopfte vorsichtig, um keinen Lärm zu machen, jeden einzelnen mit einem Knüppel, den er gefunden hatte. Dabei entdeckte er einige, die einen dumpfen Ton von sich gaben. Mit einer Kopfbewegung winkte er Kenneth heran. Gemeinsam fassten sie die unteren Stangenenden und zogen mit angewinkelten Knien daran. Eine Stange gab knirschend etwas nach, hielt aber stand, während die verrostete Verankerung der zweiten brach und die Stange sich zwei Handbreit heben ließ.
Das Geräusch schwerer Stiefel und ein lang gezogenes Gähnen von der Treppe her kündigten die Wachablösung an. Als der Kopf des Mannes ins Blickfeld kam, erstarrte er, und seine schlaftrunkenen Augen wurden groß, weil er sich überraschend drei Mann gegenübersah. Er faßte nach seiner Muskete, doch noch ehe er sie in Anschlag bringen konnte, hob Nikolaus seine Keule und hieb ihm die Waffe aus der Hand. Der Posten stieß einen Warnschrei aus und sprang, nachdem er zu seinem Degen gegriffen hatte, von der Treppe herunter auf den Boden, wo ihm Kenneth mit blanker Klinge entgegentrat. Von oben hörte man Laufschritte, seine Spießgesellen waren alarmiert.
Maxim trat von den Gitterstäben zurück und brachte seine Muskete in Anschlag. Den ersten Mann, der in Sicht kam, traf eine Kugel in die Brust, und er sank langsam zu Boden. Dann knallten zwei Pistolenschüsse, und der nächste Posten fiel über seinen toten Gefährten. Maxim steckte die leeren Pistolen ein und schwang seinen Degen, als etwa zehn Mann die Treppe heruntergepoltert kamen. Elise unterdrückte einen Aufschrei, als Maxim von vier Angreifern bedrängt wurde, während Nikolaus und Kenneth ebenso vielen Gegnern, mit ihren Klingen um sich hauend und stechend, standhielten.
Plötzlich hörte man von oben vielstimmiges Geschrei, und gleich darauf liefen Sturzbäche von heißem Fett über die Stufen. Ein paar Wachen rutschten die glitschige Treppe hinunter, krampfhaft bemüht, die mit heißem Fett voll gesogenen Kleider von ihren Körpern abzuschütteln.
Im Stockwerk darüber öffnete Sherb die längliche Kiste und hob das oberste Fach heraus, während Justin seine Augenbinde herunterriss und zu einer Axt griff. Der Ritter schnappte sich Meißel und Degen. Dietrich packte ein Metzgermesser. Mit seinem ausladenden Bauch stieß er einen stämmigen Posten beiseite und holte aus. Der andere sah die Klinge, wich rücklings aus, und die Klinge verfehlte ihn nur um Haaresbreite; doch gleich darauf traf ihn ein großer Schlegel an der Schläfe und warf ihn zu Boden.
Als der Lärm des Überfalls zu Quentin drang, befand er sich bei seiner Familie; er hatte auf ihrem endgültigen Abzug bei Tagesanbruch bestehen wollen, nun aber rief er aufgebracht seinen Brüdern zu: »Wir werden jetzt sehen, wie gut ihr mich verteidigt! Ohne mich kommt ihr nämlich nicht an den Schatz heran!«
Sofort sprang Cassandra auf, drückte ihren Söhnen Waffen in die Hände und spornte sie an: »Los, in den Kampf gegen das Gesindel, das es wagt, euren Bruder
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