Tränen aus Gold
daß Ihr Eure Meinung ändert und mich nach England zurückbringt.«
Da lachte der Hansekapitän schallend, und er lachte trotz Elises kalter und abweisender Miene, bis er nicht mehr konnte. Mit einer entschuldigenden Geste sagte er dann: »Ich habe einem Freund mein Wort gegeben. Es bleibt mir nichts übrig, als es zu halten.«
»Was bedeutet einem Halunken schon ein gegebenes Wort?« fragte sie wütend. Sie rückte von ihm ab. »Ihr sprecht ehrenhaft von Eurem Versprechen, aber ist Euer Versprechen ehrenhaft? Gehört es zur Verbrecherehre, sich seiner eigenen Reputation zu rühmen, während man den Beutel des Opfers aufschlitzt oder eine Gefangene in ein fremdes Land schafft?«
Nikolaus wollte dazu etwas sagen, doch Elise drehte sich auf dem Absatz um und gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen. »Kapitän, laßt mich aussprechen. Da Ihr offensichtlich schon abgestumpft seid, was Eure Taten betrifft, so sind meine Versuche, Euch ins Gewissen zu reden, gewiß fruchtlos. Dennoch bitte ich Euch, mich anzuhören. Ihr habt einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, und ich sitze in der Falle mit Euch als Kerkermeister. Mag ich auch noch so unschuldig sein, ich werde in die dunklen Machenschaften dieses namenlosen Schurken hineingezogen, während Ihr von Ehre redet. Sir, Eure Anständigkeit hat den üblen Geruch der Barbarei an sich. Ihr und Euer niederträchtiger Freund scheut auch vor übelsten Missetaten nicht zurück. Auch wenn Ihr nur auf sein Geheiß handelt, macht Ihr Euch ebenso schuldig wie er.«
»Ich kann leider zu meinen Gunsten nichts vorbringen«, gestand Nikolaus. Ihm gefiel, wie Elises Augen blitzten, wenn sie sich aufregte. »Ich bin im Sinne der Anklage schuldig.«
Elise sah ein, daß ihre Argumente nichts fruchteten. Nikolaus von Reijn war ein Mensch, der an einem Vorhaben festhielt, auch wenn er wußte, daß es falsch war. Gewissensbisse schienen ihm fremd zu sein.
Nikolaus dachte über ihre Einwände nach und fragte sich, ob sie sein Vorgehen in Zukunft ebenso heftig verurteilen würde oder ob er ihr mit der Zeit in einem günstigerem Licht erscheinen würde. Der Umstand, daß sie ihm für die Dauer der Überfahrt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war, schien ihre mutige Haltung nicht zu beeinträchtigen. Ihr Benehmen war voller Anmut und verriet angeborene Würde, zu der sich Unbeugsamkeit und Widerstandskraft gesellten, und dies in einem Ausmaß, wie man es nur selten antraf.
Wie ein kleines, verschüchtertes Kind, das etwas vorzubringen hat, zupfte er sacht an ihrem Ärmel. »Wenn Ihr in einem Jahr diese Fahrt noch bereuen solltet, dann könnt Ihr mich strafen«, murmelte er. »Ich baue darauf, daß die Fahrt Euch und meinem Freund zum Wohl gereicht.«
Nach einem Blick in seine warmen, strahlenden Augen entfernte Elise sich ein paar Schritte. Nikolaus atmete auf. Er mußte gegen sein wachsendes Verlangen ankämpfen, sie zu trösten und als ihr Beschützer und Anbeter aufzutreten. Langsam wurde ihm klar, wie ein Mann einer Frau so verfallen konnte, daß er seine Ehre und sein Treuegelöbnis vergessen konnte.
6
Das Schiff lief in die Elbmündung ein, und während man nach Sandbänken und großen Eisschollen Ausschau hielt, stand Elise an Deck, um soviel wie möglich von dem Land zu sehen, in dem sie gefangen gehalten werden sollte. Man sah größtenteils Marschland und Ebene, bis die Uferböschung nach Norden hin höher wurde. Die Bäume glänzten, da der dichte Nebel des Vorabends zu Eiskristallen erstarrt war. Entlang der Küste türmten sich gewaltige Eisplatten auf. Hin und wieder erhob sich ein Windstoß in der Stille des ruhigen Tages, nur eine Vorwarnung des Winters und kein echter Vorbote eines Sturmes.
Schließlich näherte sich das Schiff dem Kai im Hafen von Hamburg, und die Mannschaft kletterte eilig in die Takelung, um die Segel zu reffen und festzumachen. Kälte durchdrang Elises abgetragene Kleider, während sie mit Fitch und Spence darauf wartete, daß das Schiff anlegte und sie an Land gehen konnten. Sie betrat als erste den Laufsteg, gefolgt von den beiden, die gemeinsam die Kiste mit ihren neuen Kleidern schleppten. Kaum hatte sie den Fuß an Land gesetzt, spürte Elise den Blick des Kapitäns im Rücken und wandte sich um. Von Reijn stand an der Reling und neigte leicht den Kopf zum Abschied. Elise erwiderte seinen Gruß ebenso, von seiner stoischen Gelassenheit verwirrt. Seit dem Abend, als sie ihn flehentlich gebeten hatte, sie zurück nach England zu bringen, hatte
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