Tränen aus Gold
er sich ihr gegenüber sehr distanziert verhalten. Er hatte ihre Kabine nur noch betreten, wenn er eine Karte brauchte. Nicht, daß sie seine Zurückhaltung und seinen Gleichmut bedauert hätte, da sie ja ohnehin keine Möglichkeit hatte, seine Gesellschaft zu akzeptieren oder abzulehnen. Da sie aber überzeugt war, daß er ihre Wortgefechte, die jenem Abend vorausgegangen waren, sehr genoß, hätte sie zu gern gewußt, was seinen Sinneswandel bewirkt hatte.
Elise und ihre zwei Begleiter tauchten sofort im geschäftigen Treiben des Hafens unter. Um sie herum boten Händler Waren in einer für sie unverständlichen Sprache feil, während Kaufleute um die Fracht feilschten, die eingelaufen war. Das leichte Schneetreiben dämpfte die Vielzahl von Geräuschen.
Fitch bahnte sich entschlossen den Weg durch die dichte Menge. »Ich muß den Schlüssel für das Haus holen, das Seine Lordschaft für Euch gemietet hat«, erklärte er seine Eile. »Und jetzt gebt mir schön brav Euer Wort, daß Ihr hier mit Spence warten werdet.«
Elise tat überrascht. »Wenn Spence ohnehin hier bleibt, wird er doch sicher eine eventuelle Flucht verhindern, oder? Wo sollte ich auch in diesem fremden Land Zuflucht finden? Ich kenne die Sprache gar nicht.«
Fitch ging nicht weiter darauf ein, überließ sie der Obhut des anderen und lief eilig davon.
Eine Wurstverkäuferin hatte neben ihrem Karren ein kleines Feuer entfacht. Von der Wärme angezogen, hielt Elise ihre erfrorenen Finger über die Flammen. Sogleich war die flinke, rotgesichtige Frau zur Stelle. In fremder Sprache redete sie auf Elise ein und drängte sie, ein an einem Stock steckendes Würstchen zu nehmen. Spence gab der Händlerin eine Münze, die Frau nahm sie mit einem munteren »Danke, danke« entgegen und überließ nun Elise den saftigen Leckerbissen. Auch Spence nahm ein Würstchen und hatte es im Nu vertilgt.
Während sie auf Fitch warteten, hatten sie genug Zeit, noch mehr Würstchen zu essen, ja, Elise befürchtete schon, Fitch hätte sich verlaufen. Schließlich sah sie, wie er niedergeschlagen und zögernd zurückkam.
»Unsere Pläne haben sich geändert«, kündigte er finster an, als er vor ihnen stand. »Wir werden ein anderes Haus beziehen, weiter nördlich von hier. Dazu brauchen wir Pferde und auch Vorräte für die Zeit, bis Seine Lordschaft kommt.«
Spence runzelte nachdenklich die Stirn. »Aber Seine Lordschaft sagte, er habe direkt hier in Hamburg ein Haus gemietet und dafür bezahlt.«
Ein lang gezogener Seufzer entrang sich Fitch und ließ seine Laune noch tiefer sinken. »Hans Rubert, der Vermittler, sagte, das Haus ist schon vermietet und bezogen.«
Spence sah seinen Gefährten durchdringend an. Er schnaubte ärgerlich und streckte die Hand nach der Börse aus. »Ich gehe jetzt und besorge Pferde und Vorräte, während du hier mit dem Mädchen wartest.«
Fitch nickte stumm und ließ sich ergeben auf einem Stapel Brennholz nieder. Es dauerte eine Weile, bis Spence wiederkam. Was er in einer der Stallungen auf dem Hafengelände erstanden hatte, ließ Elise an seinem Pferdeverstand zweifeln. Sattel und Zaumzeug waren Relikte aus längst vergangenen Zeiten, die kurzbeinigen, in ihrem Winterfell sehr zottig wirkenden Tiere bewegten sich nur langsam und schienen unter der Last der in Bündeln verpackten Vorräte fast zusammenzubrechen.
Vorsichtig stieg Elise auf und spornte ihr Pferd mit der Ferse an, bis es sich zögernd in Bewegung setzte, hinter Spence her, der den Zug auf seinem Pferd anführte. Fitch, als Schlusslicht, hielt das Leitseil der Packpferde, während er auf seine Gefangene ein wachsames Auge hatte.
Die kleine Karawane brachte die engen, gewundenen Straßen Hamburgs hinter sich und überquerte mehrere Steinbrücken, die Kanäle und schmale Wasserstraßen überspannten, bis sie den Stadtrand erreichten. Nun ging es weiter in nördlicher Richtung, auf einer breiten, durch einen dichten Wald führenden Straße. Tiefhängende, bleierne Wolken verdunkelten den Himmel. Schneeflocken trieben ihnen ins Gesicht. Allmählich gewannen sie an Höhe, ließen das Tiefland hinter sich und durchritten den lichter werdenden Wald, wobei sie immer wieder großen Felsblöcken ausweichen mußten.
Sie erreichten den Rücken der Anhöhe, und Elise sah mit Verwunderung, daß der Pfad, auf den sie abgebogen waren, direkt auf eine alte Burg zuführte, die nicht weit vor ihnen auf einem aufragenden Fels kauerte. Grau und trübe wie der Winterhimmel wuchsen die
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