Tränen aus Gold
sicher sein, daß wir nicht Hunger leiden müssen, solange Lord Seymour da ist. Und was Euch betrifft, Mistreß, so bat mich der Herr, Euch auszurichten, er würde Euch nach Hamburg mitnehmen. Ihr sollt um die Mittagszeit bereit sein.«
»Wie Seine Lordschaft befehlen«, gab Elise mit geheuchelter Demut zurück.
Sie hatte jedoch keine Lust, sich zurückzuziehen und herauszuputzen, da es sicher noch eine Weile dauern würde, bis der Marquis zurückkäme. Lieber wollte sie die Zeit für einen Streifzug durch die Umgebung nutzen. Sie legte ihren Mantel um die Schultern, zog die Kapuze über den Kopf und trat vor die Tür. Langsam ging sie die Stufen hinunter, überquerte den Hof und überschritt die Brücke; dann folgte sie einem Pfad, der sich den Burggraben entlangzog.
Auf einem sonnenüberfluteten Hügel hielt sie inne, als sie sah, daß ihr der Weg durch ein von stacheligen Ranken durchsetztes Gestrüpp versperrt war. Schnee drückte das dichte Gras nieder, das unter den Büschen wuchs, ein Pfad war nirgends zu sehen. Schon wollte sie kehrtmachen, als ein scharfes Stechen am Knöchel sie innehalten ließ. Sie hob die Röcke, um die Distel oberhalb ihrer Schuhe aus dem Strumpf zu reißen, und zuckte zusammen, als sie sich in die Finger stach. Während sie die Fingerspitze anstarrte, huschte plötzlich ein boshaftes Lächeln über ihr Gesicht. Sie fragte sich, wie der Burgherr wohl reagieren würde, wenn er stachelige Disteln in seinem Bett vorfände! Der Gedanke war verlockend.
Eilig hob Elise die Röcke, löste ein Taillenband und schlüpfte aus einem ihrer Unterröcke. Am einfachsten war es, ein Stück Stoff über Gras und Buschwerk zu breiten, an dem die Disteln haften blieben. In kürzester Zeit hatte sie soviel Disteln, wie sie benötigte. Sie rollte den Unterrock zusammen und lief den Pfad zurück. Sie mußte sich beeilen, denn Maxim konnte jeden Augenblick zurückkommen.
Wieder überquerte Elise den Hof und schlich sich unbemerkt an Fitch und Spence vorbei durch die Halle und hinauf in Maxims Räumlichkeiten. Sie deckte sein Bett ab, kämmte die Disteln aus dem Unterrock und verteilte sie auf dem groben Matratzenbezug. Dann breitete sie das Laken darüber und legte die Decken darauf.
Auf Zehenspitzen huschte sie in ihr Zimmer zurück und begann sich für den Ritt nach Hamburg zurechtzumachen. Ihre Stimmung hätte nicht besser sein können, als einige Zeit später Maxim an ihre Tür klopfte.
»Ich komme schon!« rief sie und öffnete, nachdem sie hastig nach ihrem Mantel gegriffen hatte, die Tür.
Maxim wies mit einem knappen Kopfnicken zur Treppe hin. »Gehen wir?« Elise eilte an ihm vorüber und lief die Treppe hinunter. Maxim starrte ihr verblüfft nach und folgte ihr dann rasch.
»Gestattet«, bat Maxim, als er am Eingang ihren Mantel nahm und ihr das pelzgefütterte Kleidungsstück über die Schultern legte, ehe er mit einer knappen, aber höflichen Verbeugung die Tür öffnete.
Elise verwirrte seine Anwandlung von Höflichkeit; die galante Seite seines Wesens erfüllte sie immer wieder mit Unbehagen. War er auch ein Mensch, den zu hassen sie allen Grund hatte, so mußte sie sich doch eingestehen, daß sie noch nie einem so gutaussehenden, stattlichen Mann begegnet war.
Fitch wartete bereits mit Eddy und übergab die Zügel Seiner Lordschaft, ehe er zum Stall lief, um das Pferd der Dame zu holen. Maxim rieb die weichen Nüstern und entdeckte dabei kleine Narben an der Pferdenase, die Kratzspuren ähnelten. »Na, was haben wir denn da?« tätschelte er sein Pferd. »Sieht ja aus, als hättest du dich mit einer Katze angelegt.«
Eddy verdrehte die Augen, und Elise hatte das Gefühl, der Hengst werfe ihr einen anklagenden Blick zu. Da hörte sie auch schon Fitch mit ihrer Stute kommen. Der Anblick, der sich ihr bot, hätte nicht wunderlicher sein können. Die kurzbeinige, zottige Schimmelstute sah nun mit einem Glöckchen und den bunten, in die Mähne geflochtenen Bändern geradezu lächerlich aus.
Maxim brach in schallendes Gelächter aus, faßte sich aber gleich wieder, als ihm klar wurde, daß sein Diener viel Zeit aufgewendet haben mußte, um die Mähre für die Dame hübsch aufzuzäumen.
Elise warf ihm einen erbosten Blick zu, schwang sich in den Sattel ihrer aufgeputzten Stute und richtete Kleid und Mantel zurecht. Dann nahm sie die Gerte und ließ sie schnalzen. Sie brachte das Tier rasch in Schwung und ritt, ohne ihren Begleiter eines Blickes zu würdigen, los. Lachend folgte ihr Maxim.
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