Tränen aus Gold
»Schön, Euch zu sehen. Kapitän von Reijn kündigte mir Euer Kommen an.«
»Von Reijns Vorausblick ist lobenswert«, erwiderte Maxim höflich. »Er ist ein Mann, der Wert auf Qualität legt, deshalb hat er mir empfohlen, ich solle mich an Euch wenden.«
Das runde Gesicht errötete vor Freude. Madame Reinhardt, eine waschechte Engländerin und seit drei Jahren Witwe, war trotz ihrer vorgerückten Jahre noch nicht zu alt, um gegen den Charme eines redegewandten, englischen Gentleman unempfänglich zu sein. »Ihr könnt es an Liebenswürdigkeit mit dem Kapitän aufnehmen.« Sie deutete mit einer Handbewegung auf Elises Kleid und Umhang. »Ich weiß noch, wie der Kapitän diese Sachen bestellte. Es ist eine Freude zu sehen, wie gut sie sich machen.«
»Madame, diese Beweise Eures Talents veranlaßten uns, zu kommen und uns Eurer Hilfe bei der Beschaffung anderer Kleider zu bedienen. Könnt Ihr Euch um die Bedürfnisse meiner Schutzbefohlenen kümmern?«
»Aber gewiß doch, Sir. Ist sie Eure…«
»Im Augenblick steht sie unter meinem Schutz«, unterbrach Maxim. Er räusperte sich und faßte prüfend nach einem Stoff. »Sie wurde… unvorhergesehen von ihrem Onkel getrennt… ohne Schuld ihrerseits, versteht sich.« Sich umwendend ergriff er die Hand der Witwe und bedachte sie mit einem Lächeln. »Aus Gründen der Sicherheit«, fuhr Maxim fort, »würde ich es begrüßen, wenn die junge Dame bis zu meiner Rückkehr bei Euch bleiben würde.«
»Versteht sich, Mister Seymour. Ohne Begleitung ist eine so reizende junge Dame auf der Straße ständig Gefahren ausgesetzt.«
»Gut, dann möchte ich mich verabschieden.« Ein Blick zu Elise bestätigte ihm, wie sehr sie es missbilligte, daß er diese Frau zu ihrer Hüterin machte. »Sei ein braves Kind, bis ich wiederkomme«, ermahnte er sie und küßte sie flüchtig auf die Wange. Er spürte ihr Erstarren, als er eine Hand auf ihren Arm legte. »Ich werde mich beeilen.«
»Ach, ich komme ohne Euch recht gut zurecht«, versicherte Elise. »Laßt Euch ruhig Zeit.«
»Ganz recht, Sir«, pflichtete Madame Reinhardt ihr bei.
Elise stopfte Maxims Börse in ihre Tasche, als sich hinter ihm die Tür schloß. Ihr entging nicht, daß er Eddy und ihre Stute mit sich führte und ihr damit nur eine Fluchtmöglichkeit zu Fuß ließ.
Abrupt wandte sie sich Madame Reinhardt zu. »Ich möchte Kapitän von Reijn eine Botschaft schicken. Wisst Ihr jemanden, der sie überbringen könnte?«
Die Witwe verschränkte die Arme. Der bestimmte Ton der jungen Dame verriet, daß Mister Seymour sie ihrer Obhut nicht grundlos anempfohlen hatte. »Ich… ich könnte den Nachbarsjungen schicken…«
»Gut. Ich werde ihn auch dafür entlohnen.« Elise ließ den Umhang von den Schultern gleiten und legte ihn über einen Stuhl. Sie sah den Argwohn in den Augen der Frau und legte ihr begütigend die Hand auf den Arm.
»Madame Reinhardt, es handelt sich um eine ganz einfache Sache. Obgleich Lord Seymour vorübergehend mein… mein Beschützer ist, verwaltet Kapitän von Reijn mein Konto. Wenn ich meine Garderobe bezahlen soll, muß ich Verbindung mit ihm aufnehmen. Bitte schickt den Jungen zu ihm, damit wir uns an die Auswahl der Stoffe machen können.«
Dies überzeugte Madame Reinhardt, und sie lief hinaus, um den Jungen zu suchen und ihn mit der Aussicht auf Botenlohn auf den Weg zu schicken. Bei ihrer Rückkehr war ihre Kundin schon mittendrin in der Auswahl. Es waren Stoffe aus einer Privatkollektion, die sie in einem Wandschrank im hintersten Winkel des Ladens aufbewahrte. Offenbar hatte sie den Schrank unverschlossen gelassen. Sie staunte nicht schlecht, denn was das Mädchen sich da ausgesucht hatte, gehörte zu ihren feinsten und teuersten Stoffen. Da die Frau Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Mädchens hegte, schaffte sie einige Ballen eines preiswerteren Stoffes heran. Höflich begutachtete Elise alles, was Madame Reinhardt ihr vorlegte, doch bei jedem Ballen schüttelte sie entschieden den Kopf. »Diese hier entsprechen mir eher«, sagte sie und deutete auf die feinen Seiden, üppigen Samte und prächtigen Brokate im Wandschrank.
»Nun, meine Liebe, diese Stoffe sind sehr teuer. Seid Ihr sicher, daß Ihr sie bezahlen könnt?«
Elise wandte sich ab und zog eine Börse unter dem Rock hervor, der sie einige Sovereigns entnahm. »Das ist eine Anzahlung für meine Bestellung. Kapitän von Reijn wird bestätigen, daß ich imstande bin, auch den Rest zu begleichen.«
Die Schneiderin wog
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