Tränen aus Gold
läßt?«
Nikolaus ärgerte sich, als er sah, daß das Mädchen nachdenklich die Stirn runzelte und Maxim dies mit einem Lächeln quittierte. Sie hatte natürlich keine Ahnung, was Maxim meinte, und Nikolaus fürchtete, ihre Unschuld könnte Maxim reizen, ihr Nichtwissen auf die Probe zu stellen.
Für Nikolaus war es daher eine höchst willkommene Ablenkung, als große Platten mit Fleisch und Beilagen auf ihren Tisch gestellt wurden. Maxim schien die Köstlichkeiten, bei deren Anblick Nikolaus das Wasser im Mund zusammenlief, nicht zu beachten, da sein Interesse einzig dem herausfordernden Mädchen galt.
»Komm, Maxim«, drängte Nikolaus. »Greif zu, es ist genug da.«
»Mag sein«, gab Maxim zu, »aber ich würde lieber zu Hause speisen.«
»Zu Hause?« Nikolaus warf ihm einen erstaunten Blick zu. »Das hört sich an, als hättest du eine Vorliebe für Hohenstein entwickelt.«
»Nun, die Burg ist besser als manche Hütte, in der ich gehaust habe. Mir genügen ein Feuer, um mich zu wärmen, ein weiches Bett und ein Dach über dem Kopf.«
Elise wurde plötzlich von einem Hustenkrampf geschüttelt, denn ihr fielen die Disteln in seinem Bett ein. Doch ihr schlechtes Gewissen verflog, als sie sich sagte, daß dies nur ein Bruchteil dessen war, was ihm gebührte. Sie schluckte rasch ein paar Mal und aß lächelnd weiter.
Nikolaus legte es nun darauf an, Maxims Aufbruch hinauszuzögern. »Mein Freund, ich wäre tief gekränkt, wenn du meine Gastfreundschaft ausschlagen würdest. Hier« – er reichte Maxim einen Holzteller – »bediene dich.«
Beim Anblick der verlockenden Köstlichkeiten wäre es Maxim hart angekommen, die Einladung auszuschlagen. Er tat eine Scheibe Spanferkel auf seinen Teller und sprach nun seinerseits die Einladung aus, von der er wußte, daß der Kapitän sie erwartete. »Natürlich wirst du uns besuchen, wenn es deine Zeit zulässt, und das nächste Mal mit uns auf Hohenstein speisen.«
»Natürlich«, nahm Nikolaus gern an und fügte hinzu: »Nächsten Monat besuche ich meine Mutter in Lübeck. Da sie es als unziemlich ansehen würde, wenn Elise und ich allein reisen, wirst du uns hoffentlich begleiten.«
»Nichts lieber als das. Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, Hillert in Lübeck aufzusuchen.«
»Wie viele Leben hast du noch, mein Freund?« fragte Nikolaus kopfschüttelnd. »Du hast das Tal des Todes schon einmal durchquert, und zwar nur ganz knapp, wie ich dir ins Gedächtnis rufen darf. Wie lange willst du den Tod herausfordern, ehe du einsiehst, daß du nur ein Sterblicher bist?«
Elise legte die Gabel hin, da ihr der Appetit vergangen war. Unglaublich, daß er sich Sorgen um einen Menschen machte, der sie gewaltsam entführt hatte, und doch erfüllten sie die warnenden Worte mit Furcht.
Maxim tat die Besorgnis des Freundes mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. »Nikolaus, du verdirbst uns den Appetit mit deiner Schwarzseherei. Wir haben so viel, für das wir dankbar sein müssen.«
»Ja, das ist wahr, ich darf mich wirklich glücklich schätzen.« Sein Blick ruhte auf Elise mit soviel Wärme, daß Maxim ihn nicht missverstehen konnte. Daß der Kapitän immer mehr in den Bann des Mädchens geriet, war nicht zu übersehen. Nikolaus schlug lachend mit der Hand auf den Tisch. »Und du, mein Freund, genießt hier in Hamburg offensichtlich dein neues Leben.«
»…und alles ist gut«, sprach Maxim seinen Gedanken aus, den Blick nachdenklich auf Elise gerichtet. Sie war plötzlich so in sich gekehrt, daß er sich fragte, wohin ihre Gedanken abschweiften. »Was sagt Ihr, Elise? Habt Ihr Grund zur Dankbarkeit?«
Sie sah ihn an, und es vergingen Augenblicke des Schweigens, während sie in seinen Augen nach dem Spott suchte. Statt dessen las sie darin eine aufrichtige Frage. »Ich weiß es zu schätzen, daß ich am Leben bin«, sagte sie leise. »Aber das Leben allein ist nicht Grund genug, Dankbarkeit zu empfinden, denn man kann auch sehr elend leben. Das Herz entscheidet, was es wert ist, daß man atmet und lebt. Das Geheimnis des Lebens hängt weder an Ruhm noch Reichtum, denn ein Armer kann mit seinem kargen Los zufrieden sein, während einem Reichen nur noch der Tod als Ausweg erscheinen mag. Das Geheimnis ist das Geheimnis des Herzens.«
»Wie weise«, sagte Maxim, der nicht genug staunen konnte, daß ein so junger Mensch über solche Einsichten verfügte. »Und was brennt in Eurem Herzen, Mädchen? Was wollt Ihr aus Eurem Leben machen? Wonach strebt Ihr?«
»Ich
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