Tränen aus Gold
sein konnte.
***
Auf Burg Hohenstein drückte Fitch seine behäbige Gestalt in eine Nische zwischen Brunnen und Wassertrog, etwa in der Mitte zwischen Haupttor und Eingang zum Burgfried. Die lange Winterdämmerung war tiefer Dunkelheit gewichen, ein orangefarbiger Mond war über den Hügeln hochgestiegen und immer bleicher geworden. Dies war die Zeit, die Fitch am meisten fürchtete, wenn die Gespenster aus ihren Grüften stiegen.
Spence, der glaubte, eventuelle Gespenster würden ihr Unwesen nur im Haupttrakt treiben, schlief im Stallgebäude und schnarchte schon gewaltig. Fitch hingegen, der die Nachtwache übernommen hatte und bedacht war, den Burgfried nicht zu verlassen, nachdem Dietrich sich zurückgezogen hatte, war mit einem dicken Eichenast bewaffnet. Beim Abschreiten des Hofes hatte er keine Gespenster oder unheimliche Schatten ausmachen können, dennoch war ihm unheimlich zumute. Ein gruseliges Frösteln überlief ihn, so daß er sich noch tiefer in seine Felldecke verkroch. Von seinem Plätzchen aus konnte er das Tor gut im Auge behalten, doch mit der Zeit wurden seine Lider schwer.
Beidseits des Tores brannten Fackeln in ihren Halterungen und empfingen die Heimkehrenden. Das Hufgeklapper wurde vom Schnee gedämpft; als sie eine Stelle am Brunnen erreichten, wo das Wasser auf dem Boden eine glatte und tückische Eisfläche bildete, durchbrachen Eddys schwere Hufe das Eis, und ein Geräusch wie das Klappern von Gebeinen klang durch den Hof.
Fitch riß die Augen auf, während er noch von den Resten schlimmer Träume heimgesucht wurde. Vier verhüllte Gestalten auf dunklen Rossen ragten vor ihm auf wie höllische Sendboten. Ihre langen Schatten fielen auf ihn und schwankten unheimlich im Fackelschein. In der Gewissheit, daß nun sein letztes Stündlein geschlagen habe, schnellte er mit einem Schrei des Entsetzens hoch. Der Stock, der ihm beim Einschlafen in den Schoß geglitten war, segelte durch die Luft, während Fitch auf der Eisfläche taumelte und sich nur schlitternd auf den Beinen halten konnte. Der Stock fiel direkt vor Elises scheuender Stute zu Boden. In panischer Angst wich das Tier aus, Elise entglitten die Zügel, so daß sie sich an die Mähne des sich aufbäumenden Pferdes klammern mußte.
Maxim vollführte auf Eddys Hinterhand eine Drehung und drängte ihn zur Stute hin, so daß er Elise umfangen und scheinbar mühelos zu sich in den Sattel ziehen konnte. Die Stute hörte nicht auf, zu bocken und auszuschlagen, bis die zwei anderen die Zügel zu fassen bekamen und sie unter sanftem Zureden zum Stalleingang führten.
Maxim hatte Elise an sich gedrückt und spürte, wie sie zitterte, als sie die Arme um seinen Nacken schlang. Der Duft ihres Haares betörte ihn, so daß er beinahe dem Verlangen nachgegeben hätte, das Gesicht tief in ihr Haar zu drücken, um den Duft noch mehr zu genießen.
»Alles in Ordnung?« flüsterte er, die Lippen nahe an ihrem Ohr.
Elise nickte und hob den Kopf, um ihm in die verschatteten Augen zu sehen. Wortlos lenkte Maxim Eddy näher zur Freitreppe heran. Fitch, der sich schämte und wieder ins rechte Licht setzen wollte, eilte herbei, um Elise beim Absitzen zu helfen, wobei er sich wortreich für sein Ungeschick entschuldigte. Ihr Fuß berührte die Stufe, und Maxim löste den Arm von ihrer Mitte. Im flackernden Lichtkreis der Fackel trafen sich ihre Blicke, und seine Stimme war wie eine Liebkosung, als er sagte: »Heute werdet Ihr meinen Traum verschönern, holdes Mädchen. Seid dessen versichert.«
Um eine Antwort verlegen, suchte Elise Zuflucht in der großen Halle und lief zur Treppe, hinauf in den ersten Stock und in ihre Räume, nur von einem einzigen Gedanken erfüllt. Die Disteln! Wenn sie jemals etwas bereut hatte, dann diesen Streich. Wie konnte sie Maxim jemals wieder ins Gesicht sehen! Wenn er sich ihr gegenüber heute nicht so großzügig gezeigt hätte, wäre ihr Vergeltungsbedürfnis ungebrochen gewesen.
Sorgsam schob Elise den Riegel vor. Nachdem sie ihren Umhang abgelegt hatte, lief sie vor dem Kamin auf und ab. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sie seine Schritte auf der Treppe hörte. Jetzt war es nur eine Frage von Minuten, bis sie seinen Aufschrei hören würde. Gleich darauf würde er zu ihr herunterpoltern und an ihre Tür hämmern. Angespannt wartete sie und spitzte beim leisesten Geräusch die Ohren. Ihre Hände waren eiskalt, sie zitterte am ganzen Körper. Auch als sie Brennholz nachgelegt hatte, ließ diese Kälte nicht
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