Tränen aus Gold
möchte meinen Vater finden und ihn befreien«, erwiderte sie ernst. »Vorher werde ich nicht zur Ruhe kommen.«
»Von Eurem eigenen Verlangen nach Freiheit sprecht Ihr nicht?«
Sonderbar, ihre eigene Freiheit war nun nicht mehr ihr dringendstes Bedürfnis. Als einzig erstrebenswertes Ziel stand ihr die Rettung des Vaters vor Augen. »Ihr kennt meine Gefühle in dieser Sache«, sagte sie.
Nikolaus gefiel nicht, wie ihn die beiden, wenn auch unbeabsichtigt, vom Gespräch ausschlossen. Fast schien es, als hätten sie ihn vergessen. Das Mahl wurde schweigend beendet, und als Maxim dann erneut zum Aufbruch drängte, weil es zu gefährlich sei, noch später zu reiten, wies Nikolaus zwei seiner Leute, die an einem Nebentisch saßen, an, als Eskorte mitzureiten. Widerspruch von seiten Maxims duldete er nicht. Er ließ ihn auch nicht im Zweifel darüber, daß seine Sorge in erster Linie Elise galt. Maxim blieb daher nichts übrig, als sich zu fügen, als Nikolaus die Dame seines Herzens zur Tür geleitete.
Auf Anweisung des Kapitäns holten seine Männer ihre Pferde und auch Maxims Hengst, den dieser in einem Mietstall untergebracht hatte. Als der Kapitän und Seine Lordschaft vor das Gasthaus traten, warteten die Männer mit den Pferden bereits. Elise blieb zunächst in der Tür stehen, ehe sie zaghaft einen Fuß auf den zu Eis erstarrten Schneematsch setzte.
Da stieß Nikolaus einen leisen, anerkennenden Pfiff aus. »Maxim, was für eine prächtige Stute du dir zugelegt hast! Eine echte Schönheit, gratuliere!«
Bei Elise regten sich leise Zweifel an Nikolaus' Verstand, da sie sein Lob auf ihr untersetztes Schimmelchen bezog, mit dem sie hergeritten war. Erst als sie den Blick hob, sah sie überrascht, daß die zwei Männer voller Bewunderung vor einer dunklen Fuchsstute standen: große, ausdrucksvolle Augen, ein edel geformter Kopf und unter einer seidigen Mähne ein anmutiger Hals. Es war ein hochbeiniges Tier mit feinen Fesseln und insgesamt harmonischen Proportionen.
Maxim ergriff die Zügel und führte das Pferd zu Elise. »Vielleicht freut es Euch zu hören, daß ich die Schimmelstute verkauft und diese hier erworben habe. Ein elegantes Pferd, meint Ihr nicht auch?«
»Ja, in der Tat, Mylord.« Elise konnte sich nicht genug wundern. Ihr ein so elegantes, edles Tier zu kaufen, das schien nicht zu seiner Art zu passen. Auch Sattel und Zaumzeug waren neu und von feiner Qualität.
Elise hob den Blick, noch immer fassungslos über das Wunder dieses Geschenks, und murmelte mit einem scheuen Lächeln: »Mylord, ich kann es nicht fassen. Dergleichen hätte ich nicht von Euch erwartet. Ich danke Euch.«
Wie gebannt von der Schönheit ihres sanften Lächelns, des ersten, mit dem sie ihn bedachte, konnte Maxim seinen Blick nicht von ihr wenden. Erst als Nikolaus vortrat, um ihr in den Sattel zu helfen, trat er beiseite. Er richtete seinen Sattel und streichelte Eddys Hals, während er das Gemurmel der beiden hinter sich hörte. Er malte sich aus, wie Nikolaus sie zum Abschied küßte und ihr mit derselben Bewunderung wie in der Gaststube in die blauen Augen sah.
Plötzlich erfasste Maxim das Verlangen, sich ohne Verzug auf den Weg zu machen. Er erfasste die Zügel, schwang sich aufs Pferd und warf den beiden einen ungeduldigen Blick zu.
Nikolaus bemerkte dies und drückte die schmale Hand Elises in einem stummen Adieu. Fürsorglich steckte er den Umhang über Elises Röcken fest, ehe er zurücktrat. »Sieh dich unterwegs gut vor«, ermahnte er Maxim. »Ich möchte euch beide unversehrt wieder sehen.«
Maxim hob eine Hand zum Abschiedsgruß und gab Eddy die Sporen. Sofort fiel das Pferd in einen langsamen Trott. Auch das Mädchen drehte sich kurz um und winkte der einsamen, auf der Straße stehenden Gestalt zum Abschied zu. Dann setzte sie sich für den langen Ritt nach Hohenstein zurecht.
Die Nacht war ruhig, nicht das leiseste Lüftchen regte sich. Es war, als hielte die ganze Welt den frostigen Atem an. Der über den Hügeln aufgehende Vollmond warf seinen Silberschein über die Erde. Der Schnee knirschte unter den Pferdehufen. Elise raffte den Umhang enger und schmiegte sich tief in seine Wärme. Ihr entging nicht, daß Maxim den Schritt des Hengstes neben ihrem Pferd hemmte. Das muskulöse sehnige Tier neigte dazu, unruhig zu tänzeln und den Schweif aufzustellen. Es bedurfte einer festen und sicheren Hand, um ihn zu zügeln, und doch schaffte es Maxim mit einer Leichtigkeit, die nur die Frucht langer Übung
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