Tränen aus Gold
dieses Mannes nicht mindestens ein Jahrzehnt betrauert hatte?
Elise hielt sich für den Rest des Tages zurückgezogen in ihrem Gemach auf. Auch zum Abendessen ließ sie sich nicht blicken, da sie so verwirrt war, daß sie der sanften Überredungskunst Maxims nachzugeben fürchtete.
Eine schwache Ausrede, von Spence überbracht, bewirkte, daß der Burgherr gleich darauf höchstpersönlich an ihre Tür pochte. »Spence meldet, daß Ihr Euch nicht wohl fühlt«, ließ sich Maxim vernehmen. »Braucht Ihr einen Arzt?«
»Gott behüte! Lieber sterbe ich, als daß ich mich von einem Quacksalber befingern lasse, der kein Wort von dem versteht, was ich sage.«
Maxim lächelte befriedigt. Zumindest war sie noch so weit bei Kräften, daß sie ihre Scharfzüngigkeit nicht eingebüßt hatte. »Ich werde Dietrich mit einer Kleinigkeit heraufschicken. Soll ich ihn zuerst auf die Suche nach Schierlingswurzeln schicken, damit wir sie für Euch zubereiten können, Mylady?«
»Jawohl, dies und mehr!« tobte Elise völlig außer sich. »Befühlt Eure Ohren, Mylord! Sind sie schon länger geworden? Befühlt Eure Nase! Ist sie lang und haarig? Wachsen an Händen und Füßen Hufe, wächst Euch ein Eselsschweif? Eine Hexe, fürwahr! Wäre ich eine Hexe, hättet Ihr längst den Verstand eines Esels! Macht, daß Ihr davonkommt, Ihr Monstrum!«
»Jetzt weiß ich sicher, holde Elise, daß Ihr Euch wieder guter Laune und Gesundheit erfreut«, sagte er sanft und ging.
»Ich, eine Hexe!« schimpfte sie weiter vor sich hin, als sie sich in ihre Decken wickelte. »Es geschieht ihm ganz recht, wenn er sich heute nacht auf die Disteln legt!«
Sie verbrachte eine unruhige Nacht. Der Sturm toste um die Burg, und ihre Gedanken kreisten unablässig um Maxim – um seine Berührungen und um seine Wut, die sicher nicht mehr lange auf sich warten ließ.
Der Morgen kam, und wieder lauschte Elise lange und angestrengt nach Schritten auf der Treppe, ehe sie vorsichtig die Tür öffnete und sich hinauswagte. Ihre Überraschung war groß, als sie auf den Gang hinaustrat und Maxim an der Wand unweit der Stiege lehnte, ganz so, als hätte er sie erwartet.
Sofort verlangsamte sie ihre Schritte und beäugte ihn voller Misstrauen. Jeden Moment gewärtig, für ihre Missetat zur Rechenschaft gezogen zu werden, berührte es sie um so merkwürdiger, als er ihr lächelnd entgegensah.
»Was für ein Jammer.« Er seufzte und schüttelte mitfühlend den Kopf. »Daß Ihr erkrankt seid, meine ich.«
Elise wich seinem Blick aus. »Mir geht es wieder besser.«
»Seid Ihr sicher?« Er trat auf sie zu, schob den Zeigefinger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht, um ihre Gesichtsfarbe zu begutachten. »Hoffentlich hat der Sturm nicht Euren Schlaf gestört.«
»Ja, ein wenig schon«, antwortete sie zurückhaltend. »Und Ihr… habt Ihr gut geschlafen, Sir?«
»Leider nein. Nachdem die Reparatur an meinem Dach beendet war, legte Fitch soviel Holz auf mein Feuer, daß es mir zu heiß wurde. Ich nahm meine Decke und schlief in der Halle. Ich möchte wetten, der Bursche hat den ganzen Wald verfeuert.«
Elise atmete auf. Wieder blieb ihr eine Gnadenfrist. Vielleicht ergab sich im Laufe des Tages doch noch eine Gelegenheit, die Disteln zu entfernen, ehe er sie entdeckte. »Sicher wollte Fitch nur gefällig sein«, meinte sie wenig überzeugend. »Hin und wieder neigt er zur Übertreibung.«
»Ja, wie wahr. Der Mann meint es gut, aber ich muß mich vorsehen und künftig meine Tür versperren, damit er nicht noch einmal irgendwelchen Unfug treibt.«
Elises Hoffnung zerstob jäh, doch sie faßte sich rasch und sagte: »Ich wollte eigentlich bei Euch oben saubermachen. Nach den Reparaturen ist das sicher dringend nötig.«
»Fitch hat gestern noch alles aufgeräumt, also könnt Ihr Euch die Mühe sparen.«
»Von Mühe kann nicht die Rede sein.«
»Dennoch kann ich es nicht zulassen. Ihr wart krank, und ich möchte nicht, daß Ihr einen Rückfall bekommt.«
Es war aussichtslos. Im Moment mußte sie sich geschlagen geben.
In den nächsten Tagen freilich wuchs ihr Argwohn immer mehr, da kein Mensch tatsächlich so viele glaubwürdige Vorwände haben konnte, das Bett zu meiden, wie Maxim Seymour. Viel wahrscheinlicher war es, daß er sich mit seiner Vergeltung Zeit ließ, bis sich eine günstige Gelegenheit bot.
Der Sturm toste ohne Unterlass um die kalten Steinmauern, heftige Böen fegten den Schnee in hohen Bögen von den Mauerkronen. Im Hof wurden schmale Pfade nur dort
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