Tränen aus Gold
weit geöffnet oder aber gegen die eisigen Windstöße geschlossen werden, die den Schlitten im Winter umtosten. Gegen Zugluft waren die Innenwände mit samtbespannten, auf Stangen aufgezogenen neuen Verkleidungen abgedichtet. Auf den gepolsterten Sitzen lagen eine Vielzahl kleiner Kissen und dazu Felldecken, die eine warme, gemütliche Fahrt gewährleisteten. Auf dem Boden zwischen den Sitzen waren Wärmepfannen in Gestellen eingelassen, so daß die Insassen sich gemeinsam daran wärmen konnten.
Stets auf gutes Essen und auf sämtliche Erfordernisse gepflegter Tafelfreuden bedacht, hatte Nikolaus einen kleinen Klapptisch anfertigen lassen, der bei Bedarf zwischen den Sitzen aufgestellt werden konnte. Eine Auswahl an Weinflaschen, dazu etliche voll gepackte Proviantkörbe, sorgten zusätzlich für das leibliche Wohlergehen der Reisenden.
Von Anbeginn der Reise an hatte Nikolaus die Rolle des Gastgebers übernommen und die Sitzordnung so gewählt, daß Elise neben ihm zu sitzen kam, während Maxim gegenüber Platz nehmen mußte. Der Kapitän genoß seine Besitzansprüche Elise gegenüber und vertrieb ihr die Zeit mit einer Lektion über die Entwicklung der Hanse seit ihren Anfängen, als eine Gruppe deutscher Kaufleute sich zum Schutz gegen gesetzlose Freibeuter zusammengetan hatte. Sie erfuhr von dem drei Jahrhunderte währenden Aufschwung der Hanse und von der Herrschaft der geradezu königlich auftretenden Handelsherren in fremden Häfen und auf hoher See. Die Schwächung und Schließung ihrer Stützpunkte an der Themse, in Nowgorod und auf dänischem Territorium erfüllten Nikolaus mit so großer Besorgnis, daß er die Zukunft der Hanse insgesamt in Frage gestellt sah. »Zuweilen frage ich mich, ob uns nicht schon der Hauch des Untergangs entgegenweht und wir nur zu stolz sind, um ihn wahrzunehmen.«
Elise versuchte ihn aufzumuntern. »Sagt mir, gehört es zu den Gepflogenheiten der Hanse, Gefangene festzuhalten und für sie Lösegeld zu fordern?«
Nikolaus lehnte sich zurück. »Da und dort haben wir tatsächlich Geiseln genommen, wenn sie der Hanse Schaden zugefügt hatten. Denkt Ihr an etwas Bestimmtes?«
»Ja, natürlich«, gab sie bereitwillig zu. »Mein Vater war mehrfach in den Stilliards, ehe er entführt wurde. Deshalb gibt es Gerüchte, daß ihn die Hanse gefangen nahm. Nun frage ich mich, ob etwas Wahres daran sein könnte.«
»Wir handeln mit Waren, mein Fräulein, und nicht mit Menschen«, antwortete Nikolaus.
Elise wollte sich nicht so leicht abwimmeln lassen und bohrte weiter. »Gerüchte wollen weiter wissen, daß mein Vater einen Teil seines Vermögens gegen Hansegold tauschte. Wäre eine Truhe voller Gold nicht für manchen Hanseherren von Interesse?«
»Natürlich gibt es überall Habgierige, die auf Reichtümer aus sind. Da ich aber selbst von der Sache nichts weiß, kann ich Euch leider nicht helfen, so gern ich es täte. Gelänge es mir, Euch den Vater wiederzugeben, ich würde zweifellos Eure ewige Liebe gewinnen.«
»Wer könnte es denn wissen?« fragte Elise weiter, ohne auf seinen Versuch einzugehen, das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen. »Wen könnte ich fragen?«
Der Kapitän deutete auf Maxim. »Vielleicht kann mein Freund Euch in dieser Sache helfen. Er hat überall seine Späher.«
Maxim blickte auf und bedachte sein Gegenüber mit einem skeptischen Blick. »Nikolaus, mir fehlt der Sinn für deinen Humor. Welche Späher meinst du?«
»Na, Spence und Fitch natürlich«, antwortete Nikolaus gut gelaunt. »Zwei gerissene Burschen. Du hast sie ausgeschickt, damit sie Arabella bringen, und sie kamen mit diesem Juwel an Weiblichkeit zurück. Wenn sie auch in Zukunft so großes Geschick an den Tag legen, dann kannst du sie getrost auf die Suche nach Elises Vater schicken… wer weiß, wen sie mitbringen.«
»Denen traue ich niemals wieder. Inzwischen habe ich den Eindruck, die beiden sind ans andere Ende der Welt gereist, um einen besonders talentierten Quälgeist ausfindig zu machen.« Maxim wies auf die strahlende Elise. »Kein gewöhnliches Mädchen, sondern eines, das jeden Einsatz wert ist. Ehrlich gesagt, wäre nicht einmal Arabella imstande gewesen, so anregende Zerstreuung in Szene zu setzen.«
Ohne zu überlegen, entfuhr es Elise: »Arabella ist viel zu zaghaft für einen Mann wie…«
Maxim entging ihr Zögern nicht. »Für einen Mann wie mich? Wolltet Ihr das sagen?«
»Ich wollte damit nur sagen, daß Ihr so… daß Ihr mitunter recht kühn seid«,
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