Tränen aus Gold
und seine Zunge an ihren Fingern spürte.
»Ach, ich vergesse ja ganz unseren Gast!« machte sich Elise verlegen los. Sie hielt Nikolaus das Tablett hin und schaffte es, ihn unbefangen anzusehen. »Was wäre nach Eurem Geschmack, Kapitän? Ein Stück Konfekt?«
Nikolaus wählte sorgsam ein Häppchen aus und ließ es genüßlich auf der Zunge zergehen. Dann sah er seinen Gastgeber lächelnd an und hob den Krug: »Magst du den Verlust Arabellas betrauern, mein Freund, ich bin froh, daß deine Pläne fehlgeschlagen sind. Andernfalls hätte ich Elise nie kennen gelernt. Und was deine Narretei betrifft, mein Freund, so möge sie dir mit der Zeit soviel Vergnügen bringen wie mir.«
Maxim erwiderte den Trinkspruch, indem er seinen Krug hob und Nikolaus zutrank. »Möge uns die Vorsehung wohlgesinnt sein.«
Nikolaus leerte seinen Krug in einem Zug. »Die Vorsehung hat es in jüngster Zeit sehr gut mit mir gemeint.« Er zog aus seiner Tasche einen kleinen grünen Zweig, hob ihn hoch und drehte ihn am Stamm. »Seht her, meine Freunde, was ich einem Engländer in Hamburg abgekauft habe.«
»Was ist das?« fragte Elise verwundert.
»Ein Mistelzweig.«
Nachdem er sich der Neugierde seiner Zuhörer versichert hatte, machte Nikolaus sich daran, umständlich ein Band um den Stamm des Zweiges zu wickeln. Er stieg auf eine Bank, befestigte das bunte Band an einem Holzbalken und ließ den Zweig frei im Raum hängen. Er sprang wieder herunter und sah seine erwartungsvollen Gastgeber an. »Die Druiden schrieben der Mistel große Heilkraft zu, gegen Vergiftungen beispielsweise. Außerdem kann dieser Zweig auf den, der darunter steht, eine sehr angenehme Wirkung ausüben. Die reizvolle Sitte des Kusses unter dem Mistelzweig ließ den Glauben entstehen, daß ein solcher Kuß unweigerlich zur Ehe führen müßte. Elise, würdet Ihr daran glauben, wenn ich Euch küsse?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, nahm Nikolaus Elise in die Arme und drückte ihr einen leidenschaftlichen Kuß auf die Lippen, ohne Maxims zu achten, der sich nur mit Mühe zurückhielt. Nachdem er Elise losgelassen hatte, begegnete Nikolaus ihrem verdutzten Blick mit einem Lächeln. »Mein Fräulein, für mich und hoffentlich für Euch ein freudiges Erlebnis. Na, was ist, würdet Ihr Euch jetzt als mit mir verlobt ansehen?«
Elise, die bis zu den Haarwurzeln errötet war, erklärte barsch: »Keinesfalls! Ich bin sehr wohl imstande, eine Entscheidung selbst zu treffen, ohne mich übertölpeln zu lassen.«
Nikolaus verbeugte sich schwungvoll vor ihr. »Nun, für mich wird es ein unvergessliches Ereignis bleiben. Doch es ist schon spät, und wenn wir morgen vor Tagesanbruch nach Lübeck aufbrechen wollen, sollten wir uns zur Ruhe begeben. Ich wünsche eine gute Nacht.«
Er verabschiedete sich, durchschritt die Halle und lief die Treppe hinauf. Kopfschüttelnd blickte Elise ihm nach, bis sie bemerkte, daß Maxim zu ihr getreten war. Sie hielt den Atem an, als seine Finger ihren Arm entlangglitten und ihren Ellenbogen sanft und unnachgiebig umfassten. Ihr Herz schlug schneller, und als sie sich zu Maxim umdrehte, sah er sie sonderbar lächelnd an.
»Traditionen sollte man hochhalten, oder?« sagte er leise mit einem Blick zum Mistelzweig. Dann beugte er sich über sie und senkte seinen Mund in einer sanften Liebkosung auf den ihren, der sie willig nachgab. Ihre Gedanken wirbelten im Kreise und riefen alle Sehnsüchte wach, die sie an seinem Bett empfunden hatte.
Als er den Mund von ihr löste, seufzte Elise wie nach einem schönen Traum. Sie schlug die Augen auf und starrte in das schmale, hübsche Gesicht, das so knapp über dem ihren war. Es füllte ihren Gesichtskreis ganz aus, kam weder näher, noch zog es sich zurück, bis sie sich auf die Zehen stellte und ihre Arme um seinen Hals schlang. Der Kuß, den sie ihm gab, kam überraschend und machte ihn schwindlig. Er umschloß ihre Mitte mit beiden Armen und kostete voll ihre Wärme und Leidenschaft aus. Dabei spürte er, wie ihre Brüste sich an ihn pressten, als seine Finger über ihren Rücken glitten.
Da ertönte neben dem Kamin ein lautes »Hmmm!«, und Elise riß sich verlegen von Maxim los. Sie hatte ganz vergessen, daß jemand von der Dienerschaft sie beobachten könnte.
Maxim drehte sich um. Frau Hanz spürte die Kälte seines Blicks, während Dietrich seine Mißbilligung über die dreiste Haushälterin nicht verhehlte.
Elise, die sich einigermaßen gefaßt hatte, fixierte die Frau. »Frau Hanz, Euer
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