Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)
ausgestreckt und blickte mit ihren Augen sinnend, fast wie in Trance,
auf die aufschäumenden Wellen am Horizont. Regungslos verharrte Sébastien auf
der Stelle, um den Zauber des Augenblicks nicht zu zerstören.
Das, was er in Nahlas Gegenwart
fühlte, hatte er noch nicht einmal bei seiner Frau Amaru empfunden, von der er
damals dachte, dass sie seine unsterbliche Liebe sei. Und für die wenigen
willigen Frauen und Prostituierten, die sein Bett geteilt hatten, schon gar
nicht. Was, verdammt nochmal, war an Nahla so anders, dass sie ihn so vollkommen
aus der Bahn warf?
Ein leises, kaum wahrnehmbares
Geräusch ließ ihn herumfahren. Wie aus heiteren Himmel bemerkte er einen
Schatten, der sich rasend schnell am Strand bewegte und unvermittelt mit
erhobener Hand ins Wasser glitt – genau auf Nahla zu. Sébastien stockte der
Atem. Ohne zu denken, riss er sich sein T-Shirt vom Leib und rannte auch los.
»Verdammt, Nahla, pass auf, tauch
unter Wasser«, schrie er ihr zu. Doch das Tosen der aufschäumenden Wellen
verschluckte seine Worte. Auch war sie so in ihre Trance versunken, dass sie
nichts um sich herum wahrnahm. »Merde. Weib, kannst Du nicht ein einziges Mal
auf mich hören«, fluchte er lautstark. Doch dann schob er seine Panik zur Seite,
konzentrierte sich und durchbrach in Sekundenschnelle die Dimension.
Seine spitzen Fangzähne kamen zum
Vorschein und er flog genau in dem Augenblick auf die Gestalt zu, als diese
unmittelbar hinter Nahla im Wasser zum Stehen kam. In der erhobenen Hand sah er
im fahlen Mondlicht einen Kris, den gebogenen asiatischen Dolch, aufblitzen.
Mit einem wütenden Fauchen sprang
er aus dem Stand hoch und sein tiefschwarzer Pumakörper krallte sich in die
Schultern der Gestalt. Ein verzerrter Aufschrei nahe seinem Ohr zerriss ihm fast
das Trommelfell.
Im Rücken des Angreifers
verkrallt, konnte er dessen Gesicht nicht erkennen, das von einer Kapuze
verborgen wurde. Doch wer auch immer es war, der Nahla bedrohte, er würde es
nicht noch einmal machen können, das schwor Sébastien. Gerade als er zum
tödlichen Biss ausholen wollte, erwachte Nahla aus ihrer Starre, drehte sich
langsam um und schrie dann entgeistert auf.
Instinktiv drehte er sich zu ihr
um, um sie zu beruhigen. Diesen einen Moment war er abgelenkt und das nutzte das
Wesen aus. Sébastien spürte einen stechenden Schmerz, als der Dolch seine Rippen
durchstieß, und er stockte inmitten seiner Bewegung. »Sébastien!« Mit bleichem
Gesicht schrie Nahla seinen Namen durch die Nacht und watete erschrocken auf ihn
zu.
»Verdammt Scheiße«, schrie er
heiser auf. Er merkte, wie seine Kräfte schwanden, notgedrungen ließ er die
Kapuzengestalt los. Zeitgleich durchbrach er erneut seine Dimension und
verwandelte sich in seinen menschlichen Körper, um nicht unterzugehen.
Denn die aufgepeitschten Wellen
schlugen mittlerweile bis zu einem Meter hoch. Das Meer um ihn herum färbte sich
langsam rot von seinem Blut. Krampfhaft hielt er sich die Einstichwunde mit
einer Hand zu und drehte sich wieder um. Doch der Angreifer war verschwunden.
Als ob er sich in Luft aufgelöst hätte.
Mit schnellen Schritten lief
Nahla durch das aufspritzende Wasser auf ihn zu und ihre Augen waren angstvoll
auf die Einstichstelle gerichtet. Der Dolch schien nur knapp seine rechte Niere
verfehlt zu haben.
»Sébastien … oh mein Gott, du
blutest …«
Er grinste schief und versuchte
keuchend die Schmerzen, die seinen Körper durchschnitten, vor ihr zu verbergen.
»Mach dir keine Sorgen, Miou«,
schrie er ihr über die Entfernung heiser zu. Doch im selben Moment bereute er
seine voreiligen Worte, als er die Zweimeter hohe tosende Welle auf sie zurollen
sah.
Oh Fuck … Das Entsetzen stand ihm
ins Gesicht geschrieben. Mit letzter Kraft bündelte er seine Energie und sprang
auf Nahla zu. Blitzschnell fasste er ihre Hand und zog sie zu sich. Dann hob er
sie kraftvoll in seine Arme und flog zum Strand, wo er ihren zitternden Körper
sanft im feinkörnigen Sand ablegte. Keuchend beugte er sich über sie.
»Nahla, du hast eben meinen Namen
gerufen, als ich noch in mein Totem verwandelt war. Woher wusstest du, dass ich
es bin?« fragte er mit ungläubiger Mine.
»Ich habe es in mir gespürt und
dich außerdem an deinem Geruch erkannt.« Sanft strich sie ihm das
blutverkrustete Haar aus seinem Gesicht.
»So, und nach was rieche ich?«
»Einfach, pur und sehr sinnlich.
Nach holzigen Moschus, ein
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