Tränen der Lilie - Hüter der Gezeiten (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
den Strom der Gezeiten.
Am nächsten Tag brannte die Sonne schon am frühen
Vormittag heiß, von
strahlendblauen Himmel.
Kein Windzug wehte. Die Luft stand still. In der Ferne
flirrten die
Bergformationen wie eine fantastische Fata Morgana im
seichten Wasserlauf.
Amy wischte sich die verschwitzten, langen Haare aus
dem Gesicht. Ihr
Pferdeschwanz hatte sich einem Salto zwischen zwei Bäumen halb
gelöst. Sie
stand in einer Astgabel, in acht Metern Höhe und versuchte das
Seil zu lösen.
Zitterte mit ihrer Hand, schwang sie dreimal im Bogen und einmal
nach unten.
Und dann plötzlich geschah das Wunder.
Die Edelsteinkugel begann sich zu lösen, der Knoten
entwirrte sich
langsam und gab endlich das Seil frei. Wie gebannt, zog sie es
zu sich hinüber
und stieß im selben Moment einen heiseren Schrei der Befreiung
aus.
»Ja, ja. Juhu. Ich habe es geschafft, ich habe das Tau
endlich
besiegt. Jetzt kann ich es um einen Ast schlingen und auch
wieder lösen. Bei
allen Göttern der Welt, ich danke euch .«
Fast hatte sie vergessen, dass sie sich noch immer in
einer wackeligen
Astgabel befand. Sie winkte der unten im Gras stehende Suletu zu
und vibrierte
dabei vor Freude mit ihrem ganzen Körper.
Beinahe verlor sie das Gleichgewicht und schwankte.
Schnell ließ sie
sich daraufhin in einer Rolle auf dem Zweig runter, nahm
Anschwung und setzte
mit einem Salto gekonnt auf dem Waldboden auf. Genau neben
Suletu und Taylor.
Von diesem Zeitpunkt an, hatte sie den Trick raus. Blitzschnell
wusste sie sich
binnen kurzer Zeit mit dem Seil von Baum zu Baum zu schwingen.
Und auch in
kürzester Zeit das Tau wieder zu entfernen und neu zu
positionieren.
Mit Taylor trainierte sie dann wiederholt das genaue
Treffen der
Pfeile. Immer und immer wieder übten sie es miteinander, bis sie
die Millimeter
genaue Entfernung zum Abschuss absolut und vollkommen
beherrschte.
Nur zur Mittagszeit gönnten sie sich alle eine
zweistündige Verschnauf
Pause.
Ben brachte wie immer das selbst gemachte Essen von
Mahu mit.
Liebevoll eingepackt in einem Weidenkorb.
Aber Amy hatte seit zwei Tagen kaum noch Appetit, denn
sie machte sich
große Sorgen um Michael. Seit vorgestern nahm er nicht mehr an
ihrem Training
teil.
An diesem Tag hatte Milton die Nachricht von den
Dogianern erhalten.
Alle Clanvorstände mit ihren ältesten Söhnen waren von
dem Rat der
Gezeiten zu einer sofortigen und wichtigen Konferenz einberufen
worden. Milton
war zu ihnen auf dem Übungsplatz gekommen um seinen Sohn
abzuholen und seine
Miene war äußerst angespannt.
Michael verstand ihn sofort und ohne Worte.
Er drehte sich zu ihr um und zog sie in seine Arme. Amy
lehnte sich an
ihm und blickte ihn angstvoll an.
Sie registrierte die Angespanntheit und die tiefe
Besorgnis die sich
in seinen Augen wiederspiegelten.
Michael vergrub sein Gesicht in ihren Haaren und atmete
tief durch.
»Amy mein Liebling, ich denke, es ist bald soweit. Der Rat wird
uns jetzt seine
Entscheidung mitteilen und uns ihre weitere Vorgehensweise
ankündigen. Es
missfällt ihnen noch immer, dass du die Reise der Gezeiten nicht
angetreten
hast. Darum sind sie im Moment nicht sehr gut auf mich zu
sprechen. Sie geben
mir die Schuld, was ja auch stimmt.
Aber sie akzeptieren es notgedrungen denn sie haben
sehr wohl
wahrgenommen, dass du nun so weit bist. Dein Training ist fast
abgeschlossen.
Die Dogianer sind der Meinung, dass du es jetzt schaffen kannst .«
Michael streichelte ganz zart ihr Gesicht und stöhnte
verzweifelt auf.
»Wenn ich könnte, dann würde ich dich vor all dem hier
bewahren. Du
gehörst nicht in diese Welt des Bösen.
Ich habe es dir immer wieder gesagt. Du bist meine
Kimimala, mein
wunderschöner, indianischer Schmetterling. Du solltest von
jemand geliebt
werden der dich nicht in einem Kampf führt so wie ich .«
»Schau mich an, bitte«, mit diesem Worten umschlang sie
zärtlich
seinen Hals und sah ihm in seine eisblauen Augen.
»Michael, es gibt für uns beide kein Zurück mehr. Du
weißt es. Wir
haben beide gewählt, für uns. Was soll ich mit einem Leben ohne
Kampf und ohne
Komplikationen, aber ohne dich anfangen? Wenn du nicht bei mir
bist… .«
Ihr versagte die Stimme und sie blickte ihn stumm mit
ihren
tränenverschleierten Augen an.
»Michael, du bist mein Leben, ohne dich bin ich gar
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