Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
angekommen hob er den Kopf und sah in die vereiste Krone
des einzigen Baumes in der gesamten, einsehbaren Umgebung.
»Sebastién, das
hast du gut gemacht. Irgendwann musst du mir erzählen, wie du es
geschafft hast, dir den einzigen Baum in 20 km Entfernung zur
Landung auszusuchen«, rief er hoch und konnte sich dabei ein
Lachen nicht verkneifen.
»Und jetzt schwing
deinen Hinter runter, ich brauche dich hier unten, am Boden!«
Eine Salve von
französischen Schimpfwörtern erklang und Michael war sich
ziemlich sicher, das Wort Hurensohn herausgehört zu
haben. Doch ein Knacken hinter ihm ließ ihn sofort wieder ernst
werden. Mit zum Sprung gespannten Muskeln drehte er sich um und
atmete erleichtert auf als er den Rest des Igmu Tanka-Clans
erblickte, die sich jetzt mit ihren astralen Körpern
vereinigten. Gut, damit waren sie wieder komplett und seine
größte Befürchtung, dass sie die metaphysische Reise nicht
schaffen würden, hatte sich zum Glück nicht bewahrheitet.
»Scheiße… ist
saukalt hier…«
»Ja, du hast
Recht«, erwiderte Michael, »wir müssen schnellst möglichst ihre
Festung aufspüren, um uns aufzuwärmen und um das Vademekum zu
finden.«
Michael drehte
sich um und so schnell es die knietiefen Schneemassen erlaubten,
kämpften sie sich Richtung Norden vor. Er verließ sich ganz auf
seinen Instinkt, der ihm sagte, das dieses die richte Richtung
war. Schweigend bildetet er die Vorhut und war dabei tief in
Gedanken versunken.
»Oh fucking hell,
was zur Hölle ist das…?«
Michael zuckte
zusammen, schnellte herum und war jetzt richtig sauer.
»Sebastién, ist es
vielleicht möglich, dass du deinen Sprachschatz ein wenig
erweiterst und zur Abwechslung auch mal andere Worte benutzt?«
Doch als er
Sebastién ansah und bemerkte, dass dieser sich mit beiden Händen
verzweifelt an den Kopf fasste, ahnte Michael das etwas
geschehen war. Rasch ging er auf ihn zu.
»Was hast du mein
Freund, was ist passiert?«
»Ich… kann nicht
mehr klar denken… ich hab das Gefühl, das ein riesiger Eisenring
um mein Kopf gelegt ist und irgendjemand versucht die Schrauben
jetzt fest anzuziehen, bis er zerquetscht wird«, schnaufte er
erstickt und sank auf die Knie. Michael begriff plötzlich, was
er meinte und hockte sich beruhigend neben ihn.
»Sebastién, das
wird bald wieder vorbeigehen. Sobald der magnetosphärische Sturm
vorübergezogen ist. Es ist Aurora-Nacht. Wir befinden uns direkt
unter dem Zenit eines magnetischen Lichtfelds und das Polarlicht
blockiert deine Sinne.«
Er reichte ihm die
Hand und Sebastién stützte seinen hünenhaften Körper auf ihn und
stand schwerfällig auf.
»Und warum in
Dreiteufels Namen, spüre nur ich diesen verdammten und
beschissenen Schmerz?«, fragte er grollend.
Michael
betrachtete ihn und gab es auf, sich weiter über seine Wortwahl
zu ärgert. Er würde ihn nicht mehr ändern können, das ahnte er
dumpf.
»Weil du der
einzige von uns bist, der telepathische Fähigkeiten hat und
diese reagieren äußerst sensibel auf magnetische Reize. Komm,
lass uns jetzt weitergehen. Je schneller wir uns aus dem
Magnetfeld entfernen, desto besser wirst du dich fühlen. Und
hier…“
Michael griff in
die Tasche seines Parkas und drückte ihm etwas Rundes in die
Hand.
»Was ist das?«
Sebastién starrte ihn an.
»Das ist ein
Bergkristall. Er wird dir helfen, einen kleinen Teil der
elektromagnetischen Wellen abzufangen.«
Lautlos
marschierten sie weiter und Michael spürte, wie sie ihrem Ziel
immer näher kamen. Zwei Kilometer später blieb er ruckartig
stehen und konzentrierte sich erneut. Dann sprang er über einen
Wassergraben, die anderen folgten ihm und hinter einer
Schneewehe sahen sie schemenhaft einen bläulichen und
flackernden Lichtschein. Für die menschlichen Augen vollkommen
unsichtbar und in einem riesigen Eisberg gebaut, erhob sich der
satanische Eispalast - Ngome Barafu Moyo.
Michael gab Matu
und Ian ein Zeichen, die daraufhin lautlos auf den Eingang
zuglitten. Geduckt rannten sie auf das steinerde Portal zu,
pressten sich eng an die Burgmauern und horchten in die
Dunkelheit. Nichts - kein Laut. Daraufhin teilten sie sich und
kauerten sich rechts und links unter die Eingangspfeiler. Ihre
Gehirne brauchten einige Sekunden, um die Informationen, die
Cedríc ihnen übermittelte, zu verarbeiten. Danach wussten sie,
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