Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
sah sie zum ersten Mal, seit
unzähligen Stunden, aus fast klaren Augen an.
»Hi Babe«,
flüsterte er mit heiserer Stimme und Amy fühlte eine ungeheure
Welle der Zärtlichkeit in sich hochkommen. Es war zu sehen, das
Robert endlich auf dem Weg der Besserung war und die
Entzugserscheinungen zu mindestens halbwegs überwunden hatte.
Trotzdem lag noch
ein harter und sehr steiniger Weg in der Drogenklinik vor ihm,
bevor er seine Sucht endgültig besiegen konnte. Doch daran
wollte sie jetzt noch nicht denken. Sie stellte das Tablett auf
dem kleinen Tisch ab und setzte sich zu ihm aufs Bett.
»Wie fühlst du
dich«, fragte sie mitleidig und streifte sanft sein Gesicht.
»Wie ein Mensch,
der bei lebendigen Leib von einem Trecker überrollt wurde«,
erwiderte er scherzhaft. »Aber dank dir habe ich das Schlimmste,
für den Moment jedenfalls, überstanden.«
»Dafür sind
Freunde da. Das habe ich dir doch schon so oft gesagt.«
»Das werde ich dir
nie vergessen.«
»Hey, hör auf.
Sonst muss ich noch heulen. Was anderes… kann ich dich eine
Weile mit Emily alleine lassen, ohne dass du etwas
anstellst? Ich habe Milton versprochen, ihn zu besuchen. Wir
müssen über etwas wichtiges sprechen.«
»Ja, kein Problem.
Ich verspreche mich zu benehmen und ein artiger Junge zu sein…
wenn du mir einen Abschiedskuss gibst…« Amy lachte, beugte sich
zu ihm runter und ihre Lippen streiften sanft seine rechte
Wange.
Tal der Erinnerung
E s
war schon spät, als Amy in die Einfahrt abbog, die zu Michaels
Haus führte. Unwillkürlich glitt ihr Blick in die offene Garage.
Aber sein Geländewagen war nicht da, ebenso wenig wie er selber.
Sie parkte neben dem Hauptportal, umklammert das Lenkrad und
legte müde ihren Kopf auf die Arme.
Wo bist du nur
Michael… langsam weiß ich nicht mehr, was ich machen soll… ich
habe Angst um dich… wir wissen immer noch nicht, wo sich die
Eiswelt befindet und was sie von dir wollen. Die Klinik,
Robert, Zakki… langsam habe ich das Gefühl verrückt zu werden.
Erschöpft hob sie
den Kopf und sah in den wolkenfreien Himmel hinauf.
»Kannst du mich
hören«, flüsterte sie lautlos. »Seit Tagen habe ich wieder
unerklärliche Visionen von Kopfschmerzen… rotem Wasser und Eis…
hilf mir…«
Doch als Antwort
vernahm sie nur das Rauschen der Blätter, die in der Luft im
Takt des lauen Windes tanzten und sie seufzte auf. Sie spürte
innerlich, dass sie die Grenze der emotionalen Achterbahn
erreicht hatte. Langsam glitt sie aus dem Wagen und stieg die
Treppen zur Terrasse hoch. Bevor sie klingeln konnte, war Mahu
schon an der Tür und umarmte sie fest.
Ein Stunde später
fühlte Amy sich schon bedeutend besser. Sie saß in der Küche am
Tisch, in der Hand ein Glas süßen Tee und beobachtete Michaels
Mutter, die ihrer eigenen Mutter so sehr ähnelte. Mahu konnte
genauso einfühlsam reden, wie Tadita und sie war wie ein
Heizkissen. Man steckte den Stecker ein und genoss die tröstende
Wärme, solange bis der Schmerz weniger wurde und der angespannte
Körper besänftigt war.
All das vermochte
Mahu mit ihrer stillen und tröstenden Art, die Balsam für Amys
Seele war. Mahu tätschelte tröstend Amys Hand und erhob sich.
Mit fließenden Bewegungen stellte sie die Teekanne mit einem
Glas und eine kleine Gebäckschale auf ein rundes Tablett.
»Meine geliebte
Tochter, du darfst nicht verzweifeln. Steine, die sich einem in
den Weg legen, sind dazu da, um sie wegzuräumen. Das ist der
Kreislauf des ewigen Lebens.«
Mit diesen Worten
drehte sie sich um und drückte Amy das Tablett in die Hand.
»Sei so lieb und
bring das zu Milton ins Büro. Er war heute den ganzen Tag im
Tempel und hat auch sein Mittagessen noch nicht angerührt.«
Bei ihrem
Eintreten schaute Milton von seinen Papieren hoch und nickte ihr
dankbar zu. Sie stellte das Tablett ab, goss ihm den
Tee ein und reichte ihm das Glas. Dankbar nahm er es entgegen
und genoss den aromatischen Dampf, der ihm in die Nase zog.
Unterdessen begann Amy unruhig in seinem Arbeitszimmer auf und
abzuwandern.
Aus irgendeinem
Grund war sie angespannt und nervös. Schließlich kuschelte sie
sich in Miltons alten und abgewetzten Armsessel.
»Musst du so spät
noch arbeiten?«, fragte sie sanft, mit einem Blick auf sein
erschöpftes Gesicht.
Milton zögerte
einige Minuten, bevor er antwortete.
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